: Architekt des Klangs
■ Nicht nur die Musik zu „Amélie“: Gespräch mit Yann Tiersen
Viele, die seine Musik kennen, wissen es vielleicht gar nicht: Von Yann Tiersen stammt die Musik zum Film Die fabelhafte Welt der Amélie. Heute Abend gastiert der Bretone mit seiner Band im Schauspielhaus.
taz hamburg: Durch Amélie -haben Sie in Deutschland Popularität erlangt. Das Publikum liebt die nostalgische Musette-Atmosphäre aus Montmartre – aber die Stücke, die Sie komponieren, lassen sich ja nicht festlegen auf dieses Klischee.
Yann Tiersen: Es stimmt, dass im Soundtrack zu Amélie viele Musette-Walzer zu hören sind, aber das liegt an der Auswahl von Regisseur Jean-Pierre Jeunet, der ein bisschen durch alle meine Alben geschmökert hat und dann die typischen Valses ausgesucht hat, denn das ist ja beileibe nicht das Hauptthema in meiner Musik. Ich mag es lieber, wenn die Musik unabhängig ist von den Bildern, deshalb überließ ich es Jeunet, die Stücke auszuwählen, denn er hat einen direkteren Zugang zu den Bildern und konnte besser entscheiden, welches Stück zu welcher Szene passt.
Sie haben eine klassische Ausbildung als Pianist, Geiger und Dirigent durchlaufen, sich aber dann dem Rock und elektronischer Musik zugewandt. Ist Ihr jetziger Stil eine Synthese aus diesen Einflüssen?
In Rennes habe ich den Kontakt zur bretonischen Experimentalszene bekommen, nachdem mir die Klassik zu elitär geworden war. Bizarrerweise bin ich später dank der Elektronik und der Sampler wieder zu den akustischen Instrumenten zurückgekommen. Denn ich hatte Schwierigkeiten mit den Maschinen, ich hatte wieder das Bedürfnis, in Kontakt mit einem Instrument zu treten, es wirklich zu spielen, und nicht Programme einzugeben.
Wobei Sie sich nun durchaus ungewöhnlicher Instrumente bedienen: Spielzeugklaviere, Glockenspiele, Schreibmaschinen, Cembalos, Banjos. Man hat gelegentlich den Eindruck, in eine Märchen- oder Kinderwelt versetzt zu werden. Deswegen werden Sie auch des Öfteren mit Erik Satie verglichen.
Diese Welt will ich aber nicht bewusst schaffen. Es geht mir nur da-rum, die Klangkörper zu benutzen, die gerade um mich herum sind, denn meine Musik ist immer mit dem Moment verbunden. Wenn ich eine melodische Idee habe, dann möchte ich sehr schnell die Arrangements dazu machen. Ich vergleiche mich manchmal mit einem Architekten, der, sind die Pläne einmal fertig, recht schnell zum Bau des Hauses übergehen möchte, um sein „Spiel“ zu komplettieren. Deshalb ist die Wiederholung in meinen Stücken auch so wichtig. Ich mag es nicht, eine Melodie auszuarbeiten, das finde ich schon ge-künstelt. Die Wiederholung dagegen ist nüchtern.
Ihr neues Album heißt L'Absente. Wer ist da abwesend?
Es ist eher die Abwesenheit im Allgemeinen als die einer Person. Ich habe immer Angst, Dinge und Erinnerungen zu verlieren. Eine Angst des Fehlens, der Abwesenheit von Zeit, die einem durch die Finger rinnt und von der man hätte Gebrauch machen sollen. Die Musik hilft mir, Momente zu fixieren. Noch Jahre später kann ich mich zum Beispiel erinnern, welche Gegenstände auf meinem Schreibtisch standen, als ich ein bestimmtes Stück komponierte.
Neben den Instrumen-talstücken setzen Sie jetzt auch verstärkt die Stimme ein und es liegt ein neblig-kühler, britischer Hauch über dem Album. Sind Sie ein Melancholiker?
Ich habe immer etwas Schwierigkeiten, das Wort „melancholisch“ zu definieren. L'Absente ist eher ein Album, das davon handelt, wie man über ein glückliches oder unglückliches Ereignis nachdenkt. Sich eine Zukunft konstruiert, ohne schon damit begonnen zu haben, diesen Moment zu verarbeiten. Wenn ich zum Beispiel eine traurige Nachricht bekomme, dann kann ich das im Spielen eines Instruments kanalisieren. Niemals würde ich Vasen zertrümmern oder zu heulen anfangen. Ich setze mich dann ans Klavier, und in dem Stück, das ich spiele, konzentriert sich unbewusst mein ganzer Schmerz.
Interview: Stefan Franzen
heute, 21 Uhr, Schauspielhaus
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