piwik no script img

Die Bush den Krieg verweigern

Eine patriotische Reinigung in der College Avenue wäscht bis heute US-Fahnen kostenlos

aus Berkeley SONJA LÜHRMANN

Berkeley, am 1. Oktober 1964: Mit einem spontanen Sitzstreik hindern mehrere hundert Studierende ein Polizeiauto daran, mit einem festgenommenen Kommilitonen den Campus der University of California zu verlassen. Jack Weinberg hat trotz Verbot der Univerwaltung von einem Tisch auf der Sproul Plaza, einem der meistbenutzten Eingänge zum Campus, politische Infomaterialien verteilt.

Der Sitzstreik um den Streifenwagen, der 32 Stunden dauert, macht aus vereinzelten Protesten verschiedener Studentenorganisationen gegen das Verbot politischer Aktivität auf dem Campus eine breite Bewegung: Unter der Forderung nach Redefreiheit finden sich Studierende von allen Seiten des politischen Spektrums zusammen und bringen schließlich die Professoren auf ihre Seite. Die Hochschulverwaltung muss nachgeben.

Wer heute die Sproul Plaza überquert, kann den bleibenden Sieg des Free Speech Movement aus der Zeit des Vietnamkriegs nicht übersehen: Zwei Reihen von Tischen begrenzen den Platz, an denen man sich bei den Young Republicans anmelden, für ein unabhängiges Taiwan unterschreiben oder für den Umweltschutz Geld spenden kann. Über den Völkermord an den Indianern wird da ebenso aufgeklärt wie über die Verschwörung zur Ermordung John Lennons. Ein- bis zweimal pro Woche hängt an einem der Tische das handgeschriebene Schild „Berkeley Stop the War“.

Das Anti-Kriegs-Bündnis von Berkeley: Zum ersten Treffen kurz nach dem 11. September seien 300 Menschen gekommen, erzählt der japanische Austauschstudent Yuhei, jetzt kämen nur noch zehn bis fünfzehn. 300 Menschen, schon das hört sich nicht gerade beeindruckend an, aber verglichen mit anderen US-Universitäten ist es doch die Ausnahme. Und der Rest der gut 30.000 Studierenden in Berkeley? „Ich glaube, denen ist es egal“, sagt Yuhei, „für die ist Afghanistan weit weg.“

Yuhei hat zu einer Diskussionsveranstaltung über die Auswirkungen der neuen Flugsicherheitsgesetze auf philippinische Staatsangehörige eingeladen. Bisher stellten sie den Großteil der Gepäckkontrolleure an kalifornischen Flughäfen, bis November sollen alle durch US-Bürger im Staatsdienst ersetzt werden. Es kommen an diesem Tag immerhin über 40 Zuhörer, viele von ihnen Vertreter asiatisch-amerikanischer Studentenorganisationen, mit denen das Anti-Kriegs-Bündnis im Kampf für die Rechte der Flughafenangestellten zusammenarbeiten will.

Am folgenden Abend treffen sich rund 15 Mitglieder von „Berkeley Stop the War“, um weitere Strategien zur Vergrößerung ihrer Basis zu diskutieren. Die meisten von ihnen sind College-Studenten Anfang zwanzig, verstärkt von einigen Doktoranden und grauhaarigen Vollzeitaktivisten. Einer der letzteren, Phil von den Internationalen Sozialisten, berichtet von einer Anti-Kriegs-Konferenz im Februar an der Columbia University in New York. Von über 40 Unis reisten Aktivisten an, um die Vernetzung der Proteste und eine Demonstration gegen IWF und Weltbank am 20. April in Washington zu planen.

Und hier in Berkeley? „Einen konkreten Erfolg müsste man vorweisen können“, sagt Jim von den Uni-Grünen. Wenn man einen Teil des Professorensenats überzeugen könnte, sich öffentlich gegen die Atomwaffenforschung auszusprechen, die an der Uni angegliederten Labors betrieben wird … Aber hier liegt das Problem: Wie im Stimmengewirr der Redefreiheit dem eigenen Anliegen Gehör verschaffen?

An die Zeit, als es hieß, die Zivilisation ende an der Stadtgrenze von „Berserkley“, erinnert heute nur wenig. Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September schlugen die Emotionen kurz höher: Protestierende Studierende machten es vorübergehend unmöglich für die örtliche Feuerwehr, ihre Wagen wie in anderen Städten mit US-Flaggen zu schmücken. Und Barbara Lee, Kongressabgeordnete für Oakland und Berkeley, erregte am 15. September internationales Aufsehen mit ihrer einsamen Neinstimme im Repräsentantenhaus gegen umfassende Vergeltungsvollmachten für Präsident Bush. In Lees Wahlkreis ist dieses Votum keineswegs unumstritten, aber der Stadtrat von Berkeley stellte sich mit einer Resolution gegen den Afghanistankrieg hinter die Abgeordnete, was im Rest des Landes eher Belustigung als Entrüstung hervorrief. Andererseits waren auch in Berkeley in den Herbstmonaten ganze Häuserzeilen rot-weiß-blau geschmückt, und eine chemische Reinigung an der bei Einkaufsbummlern beliebten College Avenue bietet bis heute an, amerikanische Fahnen kostenlos zu reinigen.

Also ist es nicht nur Apathie, was die Antikriegsaktivisten zur Minderheit macht. Auch unter linken Lehrenden und Studierenden herrscht das Gefühl vor, es habe zu einem militärischen Schlag gegen die mutmaßliche Brutstätte der Terroristen keine Alternative gegeben. „Ich habe am 11. September aufgehört, die Welt zu verstehen“, erzählt der Soziologe Jim Stockinger, der kaum in den Verdacht geraten kann, fanatischer Militarist zu sein, wenn er mit seinem langen grauen Zopf und verwaschenen Jeans im Hörsaal erscheint. „Die Interpretationen der Rechten – der Zusammenprall der Kulturen – und die der Linken – alles nur Folge des amerikanischen Imperialismus – schienen mir gleichermaßen inadäquat. Und ich konnte die Regierung nicht einmal für ihre Handlungen kritisieren: Die USA, die nie auf ihrem kontinentalen Territorium angegriffen worden waren, mussten auf so einen Schlag hin einfach in den Krieg gehen.“

Noch 1991 habe es in Berkeley viel lebhaftere Proteste gegen den Golfkrieg gegeben, erinnert sich Stockinger. Reginald Zelnik, Professor für russische Geschichte und Veteran der Studentenproteste der 60er-Jahre antwortet auf die Frage, wie sich die heutige Situation von Reaktionen auf den Vietnamkrieg unterscheide: „Am 11. September wurden die USA bösartig angegriffen. In Vietnam intervenierten sie in einem Bürgerkrieg in einem Land, das uns nichts getan hatte. Nur wenige eingefleischte Radikale sehen hier ernsthaft Gemeinsamkeiten.“

Die Abgeordnete aus Berkeley stimmte als Einzige im Kongress gegen den Krieg

Die Studierenden in Stockingers Vorlesung zu soziologischen Theorien sind sich in ihrem Urteil weniger sicher. „Ich sehe nicht, wie der Krieg hätte vermieden werden können, aber er löst auch keine Probleme“, sagt LaKeiia „es ist eine Situation, in der alle verlieren.“ „Ich finde den Krieg falsch“, meint Mark. „Es ist keine kluge Politik, alle gegen sich aufzubringen. Damit isoliert Amerika sich nur.“ Sonia argumentiert, Bush wolle mit dem Krieg nur von seinen Problemen als Präsident ablenken, und Natasha vermutet, es gehe wieder mal ums Öl. Ryan wirft ein, dass sie vielleicht alle anders reden würden, wenn sie Verwandte im World Trade Center verloren hätten. Darauf fragt Pinal, die aus Pakistan stammt, warum amerikanische Tote so viel mehr wert sein sollten als die hunderttausende, die in anderen Teilen der Welt zugrunde gehen, ohne dass die Weltöffentlichkeit aufschreit.

Bei aller Differenziertheit: In Berkeley sind mehr kritische Stimmen zum „Krieg gegen den Terrorismus“ zu hören als in den meisten Städten der USA. Einig ist man sich in Berkeley am ehesten darüber, dass arabische und muslimische Mitbürger davor geschützt werden müssen, als Sündenbock behandelt zu werden. Die Vereinigung muslimischer Studenten verlegte am 14. September ihr Freitagsgebet in den Ballsaal der Universität. Die ganze Uni war eingeladen, den Gottesdienst mitzufeiern und ein positives Bild vom Islam mitzunehmen. Später veranstalten verschiedene Fachbereiche Seminare und Ringvorlesungen zu Konflikten im Mittleren Osten oder Frauen im Islam. In der Gruppe „Public Knowledge“ haben sich Doktoranden der Ethnologie und Soziologie zusammengeschlossen, um Lesemappen zur US-Weltpolitik zu erstellen.

Bei einer Trauerfeier am 17. September mahnte der Kanzler der Universität, Robert Berdahl, man dürfe nicht zulassen, dass Bürgerrechte der nationalen Sicherheit geopfert werden. Gerade das geschieht nach Meinung vieler arabischer Studentenorganisationen, wenn schon der Terrorismusverdacht ausreicht, Menschen auf unbegrenzte Zeit ohne Kontakt mit Anwälten und Verwandten festzuhalten. „Warum sind Amerikaner bereit, für die Verteidigung ihrer Freiheit zu sterben, lassen aber zu, dass die Freiheit im Namen der Sicherheit eingeschränkt wird?“, fragt Will Youmans vom „American-Arab Anti-Discrimination Committee“. „Weil wieder mal nur die Freiheit von bestimmten Leuten betroffen ist: von Arabern, Muslimen, allen, die mit dem Mittleren Osten in Verbindung gebracht werden.“

Ob die Protestbewegung im Falle der Ausweitung des Krieges auf Bushs „Achse des Bösen“ anwachsen würde, ist noch schwer abzusehen. Professor Zelnik glaubt nicht, dass es in der US-Öffentlichkeit viel Zustimmung zu einem Angriff auf Irak geben würde. Auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht, wie es sie in den 60er-Jahren gab, könnte die Stimmung umschlagen lassen, spekuliert er. Sollte der Protest zunehmen, wird die Redefreiheit wieder auf eine echte Probe gestellt werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen