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Der müde Magier

Die Abrakadabras des Handballtrainers Vlado Stenzel verlieren an Zauberkraft, doch beim Zweitligisten SV Anhalt Bernburg vertraut man trotzdem noch darauf. In den letzten vier Partien konnte auch Stenzel nicht mehr helfen: Alle gingen verloren

aus Bernburg MARKUS VÖLKER

Als Bernburgs größte Attraktion galt bislang das Residenzschloss, das imposant über der Saale thront. Ende Februar kam Vlado Stenzel in das anhaltinische Städtchen mit seinen 30.000 Einwohnern und sorgt seither für das größere Aufsehen. Das Schloss stammt aus der Renaissance, und auch Stenzels beste Zeit liegt einige Tage zurück. Auf „Eintausendneunhundertachtundsiebzig“ nachchristlicher Zeit datiert Vlado Stenzel das geschichtsträchtige Jahr, in dem die deutsche Nationalmannschaft unter seiner Anleitung Weltmeister wurde. Das kam der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik damals wie Zauberei vor. Seitdem wird Stenzel „der Magier“ genannt.

Inzwischen ist der Magier 67 Jahre alt und immer noch so flexibel wie ein erfolgshungriger Jungtrainer. Beim SV Anhalt Bernburg hat man gar nicht „zu erwarten gehofft, dass jemand wie Herr Stenzel überhaupt kommt“, sagt Vorstandsvorsitzender Peter Franke. Aber Stenzel kam gern. Denn „ohne Training ist das ganze Leben langweilig“, sagt Stenzel. Außerdem spielt Anhalt Bernburg in der zweiten Handball-Bundesliga. Das forderte Stenzel heraus. Sein letzter Verein hieß SG Bruchköbel, trat in der Oberliga an und konnte mit ihm auf Dauer nichts anfangen. „Die Halbwertszeit seiner Wirkungskraft und Faszination schwand zunehmend, selbst bei unterklassigen Vereinen“, bemerkte die Berliner Zeitung. Derweil vertrieb er sich die Zeit mit der Betreuung von Nachwuchsspielern in Aschaffenburg, die den Kader des TV Großwallstadt verstärken sollten.

Bernburg aber glaubt an Stenzel. „Er sieht ja wirklich alles“, rühmt Peter Franke seine Fähigkeiten. Stenzels Vorgänger attestierte er diese Weitsicht nicht mehr. Der Abstieg drohte. Der Name des Altmeisters fiel. Und schon stand der Magier vorm Eingang der Bruno-Hinz-Sporthalle, bereit, ein Abrakadabra über den SV Anhalt zu sprechen.

Gelegentlich hört Stenzel auch auf den Beinamen „der Retter“, weil er Vereine aus den Abstiegsrängen in sichere Tabellenregionen führt. „Ich liebe solche Situationen wie in Bernburg, jemanden aus der Patsche zu helfen“, sagt Stenzel. Der Osten Deutschlands habe ihn auch neugierig gemacht, „so ein bisschen“. Die DDR kannte er von früher. Aber wie ist es jetzt? „Eine frische Mentalität ist hier“, hat er festgestellt. Der Ossi als solcher ist nimmermüde, will immer in die Zukunft, meint Stenzel. Auch er glaubt an seine Zukunft in Bernburg. Deswegen hat er seinen Vertrag, der nur drei Monate laufen sollte, per Handschlag verlängert. Um ein Jahr. „Oder zwei, ist hier viel möglich.“

Die Spieler indes reagierten skeptisch auf den alten Herren, dessen Image des kauzigen Schleifers immer schneller in der Sporthalle ist als er selbst. Es ist spürbar, dass Stenzel nach Akzeptanz im Team sucht. Der gefeuerte Excoach des SV Anhalt genoss bei den Halbprofis großes Ansehen. Hingegen wird manch ein Pfiff aus Stenzels Pfeife von den Spielern einfach überhört. Wichtige Teambesprechungen hält er nicht ohne einen Zeugen aus der Vereinsführung ab, um sicherzugehen. Und manchmal wird er regelrecht geschnitten. Als er sich bei unserem Besuch nach Trainingsende auf die Suche nach einem Bier macht, scheint keines vorrätig zu sein. Es stellt sich später heraus, dass ein ganzer Kasten da ist, aus dem sich die Spieler vor der Halle ausgiebig bedienen.

„Magie ist nicht möglich, wenn man so halb professionell arbeitet“, verteidigt sich Stenzel und erzählt dann von einem Straftraining, das er der jugoslawischen Nationalmannschaft um sechs Uhr morgens verordete, obwohl sie tags zuvor gewonnen hatte. „Profis verstehen solch ein Maßnahme“, sagt er.

Seine Erinnerung gehen ins Jahr 1970 zurück, streifen das Jahrzehnt danach und formen sich zu dem Satz: „Ein Star bin ich schon noch überall – wegen der Erinnerung.“ Mit ihm haben die Handballer aus Bernburg in den ersten drei Spielen fünf Punkte gewonnen. In den anschließenden vier Partien kassierte der Verein jedoch vier Niederlagen. Am Samstag kommt Rostock. Wenn Stenzel wieder keine zwei Punkte holt, droht es eng zu werden. Die ganze, von Handball besessene Region sitzt ihm eh schon im Nacken. „Als ich jung war, war ich ein härterer Mann“, sagt Stenzel und erweckt den Eindruck, als müsse er dringend nach einer neuen Zauberformel suchen.

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