: Neue Analyse bestätigt alte Aussagen
Beneš-Dekrete sind Teil der tschechischen Rechtsordnung, ihre rechtliche Wirkung ist aber erloschen, urteilt eine von Prag für die EU erarbeitete Studie
PRAG taz ■ Die Beneš-Dekrete widersprechen nicht geltendem EU-Recht. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der tschechischen Regierung in Auftrag gegebene Analyse, die sie am Mittwoch in Brüssel dem Europaparlament vorlegte. Die Dekrete des tschechoslowakischen Nachkriegspräsidenten Edvard Beneš aus den Jahren 1945 bis 1947 stellen, so die Analyse, zwar einen gültigen Teil der tschechischen Rechtsordnung dar. Da sie sich aber auf eine schon lange abgeschlossenen Problematik beziehen – nämlich die Behandlung von Deutschen und Ungarn in der Nachkriegs-Tschechoslowakei –, sei ihre rechtliche Wirkung de facto erloschen.
Ziel der Anlayse ist es außerdem, zu belegen, dass die Dekrete keinerlei Einfluss auf die heutige Rechtslage in der EU haben. Dies schon allein wegen ihres eindeutigen Bezugs zur Vergangenheit, aber auch deshalb, weil Europa sich aus Fragen wie Eigentum, Privatisierung oder Restitution in einem der Mitgliedstaaten ganz einfach heraushält. „Die Dekrete stehen nicht im Widerspruch zum europäischen Recht“, stellte der tschechische EU-Gesandte Libor Sečka fest.
Mit der Analyse versucht Prag den außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments zu beruhigen. Die Analyse, so Sečka, sei nur eine passende Form der Argumentation, die dazu beitragen soll, „die Diskussion über die Beneš-Dekrete auf eine qualifiziertere Grundlage“ zu stellen. Dabei enthält das Papier jedoch nichts, was tschechische Politiker, von Staatspräsident Václav Havel bis hin zu Premier Miloš Zeman. nicht schon seit Jahren vertreten: Die Beneš-Dekrete sind längst erloschen. Die Tatsache, dass die Diskussion über die Dekrete in Mitteleuropa wieder neu entflammt ist, könnte für den tschechischen EU-Beitritt schädlicher sein als die Dekrete selbst, meinen deshalb einige Mitglieder des Europäischen Parlaments, wie etwa der SPD-Abgeordnete Klaus Hänsch.
In Tschechien ist die Debatte über die Dekrete inzwischen Thema des Vorwahlkampfs geworden. Einige beschwören dabei sogar die Geister des Münchner Abkommens: Prag befinde sich heute in der gleichen bedrohlichen Situation wie 1938, meinte ein Kommentar in Mladá fronta Dnes. Und auch Parlamentspräsident Václav Klaus, der beste Chancen hat, nächster Premier zu werden, sattelte sein Pferd zur Verteidigung der tschechischen Staatlichkeit. Er plant eine Resolution des Parlaments, die feststellt, dass Tschechien die Dekrete nicht aufheben wird.
ULRIKE BRAUN
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