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Fördern, fordern, fallen lassen?

■ „Dann bin ich vielleicht naiv“. Die neue Sozial- und Arbeitssenatorin Karin Röpke im Interview mit der taz

Seit dem 20. März ist die ehemalige Fraktionsgeschäftsführerin der Bremer SPD Nachfolgerin der tödlich verunglückten Hilde Adolf. Karin Röpke, Chefin des Mammutressorts für Jugend, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, im Interview mit der taz.

taz: Haushalts- und Sozialpolitiker wollen die Arbeitslosenhilfe abschaffen, um die Bereitschaft der Hilfeempfänger zu erhöhen, einen schlechter bezahlten Job anzunehmen.

Karin Röpke: Uns geht es dabei um etwas anderes: Für die Hilfesuchenden ist das derzeitige System, also das Nebeneinander von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wenig transparent. Es darf doch nicht sein, dass nur diejenigen arbeitsmarktfördernde Maßnahmen in Anspruch nehmen können, die in der Arbeitslosenhilfe sind. Ich will den Menschen helfen, dass sie entsprechend ihrer Eignung Arbeit finden. Und zwar unabhängig davon, aus welchem System sie ihr Geld bekommen. Wir wollen mit dem „Fallmanagement“ in den Sozialzentren erreichen, dass die guten Möglichkeiten der Arbeitsämter zusammengeführt werden mit den Angeboten der kommunalen Beschäftigungsprojekte, die bei den Sozialhilfeträgern angesiedelt sind. Das ist vor einem Jahr über eine Gesetzesänderung auf den Weg gebracht worden und wird bundesweit ausprobiert.

In Bremen sagt man: Fordern. Im „Spiegel“ stand „Druck für Drückeberger“.

Ich würde das nicht gleichsetzen, sondern positiv beschreiben mit: fördern und fordern. „Druck auf die Schwachen“, das ist die CDU-Linie von Roland Koch.

Es gibt Leute, die leben von der Arbeitslosenhilfe bescheiden und in Freuden und genießen es, nicht arbeiten zu müssen, jedenfalls für ein paar Jahre.

Natürlich gibt es immer Leute, die versuchen, sich durchzuwuseln. Die überwiegende Mehrzahl möchte arbeiten. Der Spruch aber, „wer arbeiten will, der findet auch Arbeit“, ist Quatsch. Wir dürfen die Menschen deshalb nicht hängen lassen in den Hilfesystemen.

Dass viele Sozialhilfe-Empfänger eigentlich arbeitslos sind und die Hilfestellungen des Arbeitsamtes brauchen, ist eine Sache. Was hat das aber mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zu tun?

Es geht nicht darum, die Hilfe abzuschaffen. Das ist sehr verkürzt. Es geht vielmehr darum, wie man die Stärken dieser beiden Systeme besser zusammenführen und gemeinsam nutzen kann. Es kann sein, dass beide Systeme am Ende der Diskussion in ihren Grundlagen bestehen bleiben.

Der Sozialexperte der Arbeitnehmerkammer hat uns vor zwei Wochen erklärt, wer über die Strukturreform redet und nicht sieht, dass es um die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe geht, sei naiv.

Mag sein, dann bin ich vielleicht naiv. Aber wir sind in der Diskussion erst am Anfang.

Die CDU hat eine klare Vorstellung davon, was das Ergebnis sein soll: Wer nach 12 Monaten Arbeitslosengeld nicht wieder vermittelbar war, für den sieht es schlecht aus, der muss mit der Stütze klarkommen.

Jetzt kümmern wir uns primär um die, die Arbeitslosenhilfe bekommen. Um Arbeit für diejenigen, die in der Sozialhilfe stecken, bemühte sich bisher keiner richtig. Ziel der Reform ist es, wie gesagt, beide Gruppen zu fördern – unabhängig davon, aus welchem Topf sie ihr Geld beziehen. Ich finde es fatal, dass immer nur geguckt wird, ob dabei gespart werden soll oder nicht.

Der Begriff „langzeitarbeitslos“ beginnt derzeit bei 12 Monaten. Ist das angemessen?

Nein. Wenn man eine Ausbildung hat, die gerade nicht gefragt ist, ist ein Jahr der Arbeitssuche schnell herum. Wer die Menschen motivieren will, sollte ihnen nicht schon nach einem Jahr das Gefühl geben: Es ist sowieso sehr schwierig, fast hoffnungslos. Im Gegenteil. Man muss eindeutig zeigen: Wir lassen dich nicht hängen. Von den 48.000 Menschen in Bremen, die Sozialhilfe beziehen, sind weit über 30.000 gar nicht in der Lage zu arbeiten, weil es Kinder sind oder alte Menschen. Wir gehen von rund 10.000 Sozialhilfeempfänger/innen aus, die arbeitsfähig sind. Diese wollen wir fördern und fordern.

In der Bremer Vertretung in Berlin hat Ende März ein Arbeitstreffen von SPD-Leuten aus Bund und Ländern stattgefunden, auf dem über die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe geredet wurde. Wer war aus Bremen dabei?

Staatsrat Arnold Knigge. Aber die Idee einer Verschmelzung der Systeme war nur ein Thema unter vielen.

Offenbar ist unter SPD-Politikern längst klar, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe schrittweise angenähert werden sollen.

Es gibt einen entsprechenden Richtungsbeschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz aus dem vergangenen Herbst. Mehr nicht. Das Thema ist finanzpolitisch und verfassungsrechtlich sehr kompliziert.

Was ist das Bremer Motiv, dieser schrittweisen Zusammenführung zuzustimmen? Müssen nicht die Kommunen dann die Zeche über die Sozialhilfe zahlen?

Dieses „worst case“-Szenario macht der DGB zur Grundlage seiner Kritik. Klar ist aber, dass eine Reform nicht zu Lasten der Kommunen gehen darf.

Die Kommunen wollen schon seit langem, dass der Bund die Sozialhilfelasten voll übernimmt.

Das wäre optimal, da würden wir sofort zustimmen. Ein Kernpunkt bei der Strukturreform ist das Finanzierungsproblem zwischen Bund, Ländern und Kommunen.

Das Thema braucht eine Bundesratsmehrheit. Das bedeutet: Die SPD-Sozialpolitiker müssen einen Konsens mit der CDU in der Frage suchen.

Selbstverständlich braucht man bei einem solchen Vorhaben, das in historisch gewachsene Fördersysteme eingreift, den politischen und gesellschaftlichen Konsens. Dies ist in keinem Fall bis zur Bundestagswahl zu schaffen.

Ein Konsens zwischen Bund und Ländern wäre leicht vorstellbar, wenn dabei die Leistungen zum Beispiel der Arbeitslosenhilfe gekürzt werden und am Ende alle, Bund, Länder und Kommunen, weniger Ausgaben hätten.

Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir wollen doch den Menschen helfen. Es kann nicht sein, dass wir das Niveau gnadenlos herunterfahren.

Gnadenlos nicht, aber gnadenvoll?

Das halte ich für unwahrscheinlich. Die staatlichen Leistungen beschränken sich ja bereits jetzt auf das absolut Notwendige. Man muss das Geld gezielter einsetzen und den Schwerpunkt mehr auf den aktiv-fördernden Teil legen.

In den neuen Bremer Sozialzentren werden Stellen abgebaut.

Wir sind ja gerade dabei, die „aktivierenden Fallmanager“ auszubilden. Es bringt nichts, nur mehr Stellen zu fordern und das alte Sys-tem weiter laufen zu lassen. Wir strukturieren um und wollen künftig vermeiden, dass Hilfesuchende hin- und hergeschoben werden. Sie sollen von einer Stelle umfassend betreut werden mit dem Ziel, sie möglichst wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Bei dem Weiterreichen hat die Sozialbehörde kräftig mitgemacht: Über die BSHG-19-Stellen sollten Menschen aus der Sozialhilfe in den Topf der Bundesanstalt für Arbeit geschoben werden. Raus aus der Kasse der Kommune, war das Ziel.

Umgekehrt gab es das auch. Das ist ja eine der Schwächen der alten Systeme.

Meinen Sie, dass die zentralen Standorte „Amt für Soziale Diens-te“ und Volkshaus mit ihren fens-terlosen Fluren geeignet sind für zwölf stadtteilbezogene Sozialzentren, die „bürgernah“ sein sollen?

Wir wollen eine Dezentralisierung, also 12 Sozialzentren für die Stadtteile. Ich hoffe, dass sie irgendwann Büros haben, die hell und freundlich sind. Das ist aber auch eine Frage des Geldes.

Nach der bremischen Finanzplanung müssen die Ausgaben für die Sozialhilfe in den kommenden Jahren um zehn Prozent runter. Wie wollen Sie das schaffen?

Wir wollen die Ausgaben nach Möglichkeit senken. Ob die veranschlagten Mittel aber reichen, hängt an der Zahl der Fälle. Die Hilfe-Bedürftigen haben einen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Die Risiken für den Haushalt steigen bei ungünstiger wirtschaftlicher Entwicklung. Fragen: Klaus Wolschner, Elke Heyduck

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