Elfen im Porzellanladen

■ Vorsicht, zerbrechlich: Die Australier „Naked Raven“ spielen on air im Sendesaal von Radio Bremen. Niemand spielt sich nach vorne, alle fallen nach innen

Laborbedingungen im Sendesaal von Radio Bremen: Vier Scheinwerfer markieren ein Rechteck und leuchten jeden Winkel der Bühne mit weißem Licht aus. Teuere Mikros belagern das Schlagzeug, den Flügel, das Cello. Der Schlagzeuger trägt ein Headset, ohne dass man ihn einmal hätte singen hören. Nichts, kein Ton und im Schweinwerferlicht auch keine Bewegung kann auf dieser Bühne verborgen bleiben.

Laborbedingungen eben. Oder, wie es im Programm des NordwestRadio heißt: Nordwest Live. „Naked Raven“-Live-Übertragung aus dem Sendesaal. Und die fünf Australier fühlen sich wohl im Labor. Weil sie nicht hinlangen, sondern ihre Instrumente wie mit Glacéhandschuhen anfassen. Weil sie jeden Klang und jeden Effekt genau berechnen. Und weil sie mit voller Konzentration den Unterschied zwischen laut und leise zum zentralen Gestaltungsmittel machen.

Bei der Folkband „Naked Raven“ gibt es den Gitarristen Russ Pinney, den Schlagzeuger James Richmond und die Sängerin Janine Maunder. An Stelle eines Basses streicht Kate Mazoudier die tieferen Töne auf einem Cello. Die Geigerin Jenny Thomas steuert Flächen und Melodietupfer bei. Bis auf den Gitarrist Pinney haben alle eine klassische Ausbildung absolviert. Pinney hat dafür in seiner Jugend fleißig Cat Stevens gehört und ist heute der musikalische Anführer von „Naked Raven“.

Man könnte es als Kammer-Folk bezeichnen, mit ein bisschen Pop und viel Singer/Songerwriter-Anleihen bei Tori Amos und Paula Cole. Zart, alles ganz zart, eine helle, klare Stimme, eine melancholische Klanganbetung mit Blick auf den Ozean. Gerne 6/8-Takt und Grooves ohne harten Beat, dafür mit indianisch anmutenden Pattern auf den Tom-Toms.

Unten im Klangspektrum fehlt's oft ein bisschen, weil das Cello doch eher säuselt, als Grundlagen zu schaffen. Dadurch wirkt der Gesamtsound umso fragiler. Und Schlagzeuger Richmond hat da lauter kleine Percussioninstrumente vor sich liegen, die er zum Teil nur einmal am Abend – dafür genau im richtigen Moment – anschlägt. Triangel goes Folk-Music.

Manchmal klingt das wie Meditationsmusik von Andreas Vollenweider, meistens aber klingt es wie die Band, die Tori Amos nie gegründet hat, weil sie als Solokünstlerin gut und verzweifelt genug ist.

Richtig eigenständig klingen „Naked Raven“ erst bei ihren Experimenten mit ungeraden Takten, zum Beispiel bei dem famosen 7/8-Song „Steel“: Endlich tritt mal jemand in den Vordergrund, endlich mal ein Solo, zwei sogar, von Geige und Schlagzeug. Begeisterung im Publikum, im Labor geht's zur Sache.

Aber nur kurz. Danach setzt sich Sängerin Maunder an den Steinway-Flügel und drückt elfengleich die Tasten. Kein Mucks im Publikum. Den letzten Ton lässt sie ausklingen, andächtig. Am Ende umarmt sie den Flügel. Das Edel-Instrument ist des Menschen bester Freund. Und Musik ist eine Sache, da steht „Vorsicht, zerbrechlich!“ drauf. Und eine seltsame Sehnsucht entsteht nach einer beherzt gedroschenen E-Gitarre, die dem Porzellanladen den Elefanten entgegensetzt. Klaus Irler