: berliner szenen Die Passfotoproblematik
Fix durch die Stadt
Das Foto mit dem senfgelben Sweatshirt und dem Doppelkinn hatte ihn zehn Jahre gestört. Jetzt war der Ausweis endlich abgelaufen. Der Fotoautomat im Tunnel zu seinem U-Bahnhof war ihm unheimlich. Hinter dem Vorhang saßen manchmal Pärchen mit unsichtbaren Oberkörpern aufeinander und machten „Spaßbilder“. Außerdem betrug der Preis für 4 Fotos jetzt plötzlich 5 Euro. Sein Doppelkinnfotograf hatte inzwischen Pleite gemacht. Dort wurden nun Gold- und Silberkleider aus Plastik verkauft. Also suchte er die Stadt nach „Fotofix-Automaten“ ab.
Am Bahnhof Friedrichstraße fragte er einen älteren Herrn eines Wachdienstes. Der wies ihm den Weg am Ditsch vorbei, wo er gleich noch eine Brezel für 55 Cent kaufte. Gern beobachtete er Ditsch-Verkäufer mit ihren dunkelroten Papphütchen, wie sie tiefgekühlte „Pizzazungen“ in den Ofen in ihrem Kabuff schoben. Der Automat war neu, aber defekt. Der Tag war definitiv vertan, er ging auf einen Milchkaffee ins Obst & Gemüse. Auf dem Rückweg kam er an der Polizeiwache vorbei, die Passstelle aber hatte geschlossen. Außerdem waren seine Haare zu lang, seine Ohren konnte man nicht sehen.
Also ging er zu „Haarkunst“, seinem Stammfriseur. Dort war eine Neue, Braungebrannte aus Treptow. Ihre Vorgängerin hatte immer ihren Busen in die Nähe seiner Nase gedreht, wenn sie von der Seite schnitt. Dann hatte er aufgehört zu reden. Außerdem kribbelte es bei ihr beim Haarewaschen. Die Neue schnitt nicht von der Seite, sondern nahm einen Rasierer, der laut in seinen Ohren sirrte. Sie gab ihm einen Handspiegel, er sagte leise okay, danke. Er gab weniger Trinkgeld als früher. Draußen war ihm die nächsten Tage kalt am Kopf, wenn er Fotofixautomaten suchte. ANDREAS BECKER
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen