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berliner szenen Kreuzberger Kreide

„Alles vergiftet“

Das Erste hatte vor ein paar Wochen auf dem Bürgersteig gestanden. Es hieß „Nicht reden – Fasten (Buddha)“ und war mit grün und weiß und rosa Kreide auf die Mittenwalder Straße geschrieben. „Fasten“ war doppelt unterstrichen. Vermutlich stammte der Sinnspruch nicht von Buddha.

Zu Ostern hatte der Gleiche – es war bestimmt ein Mann – weitergemacht; mit „Grüner Tee“ auf dem Gehweg zwischen Zossener Straße und „Domäne“, „Silence“ und „Don’t speak – Thank you“ am Mehringdamm und „Jesus Christ Superstar“ in der Fürbringerstraße. Die Spruchkampagne wirkte so ausgedacht wie Tulpen in Neongrün. Graffitis scheinen oft ein zur Schrift gewordener Ausdruck des lokalen Bewusstseins zu sein. Wie Pflanzen ein Produkt der hiesigen Verhältnisse sind, so auch die Schriften an den Wänden.

Man ist zwar immer wieder überrascht, aber es ist doch logisch: „Alkohol und Anarchie“ in der Zossener oder „Fikred & Sabri = Sex in Bett“ in der Mittenwalder, das macht Sinn. „Reden ist Lüge und Schweigen ist Wahrheit“ oder auch „Big in Japan“ am Landwehrkanal dagegen sind so quatschig wie die Diskussion über authentische Affekte im Bundesrat. Die künstliche Aufregung kann sich auch zum authentischen Trieb entsublimieren. Ermutigt von den ersten warmen Tagen entwickelte der Kreidekonzeptkünstler nach Ostern etwas mehr Agressivität: „Mafia“ sowie „Alles vergiftet“ stand vor dem Kaiser’s am Marheinekeplatz, „Was ihr redet interessiert uns nicht“ auf dem Bürgersteig am Mehringdamm. Während ich an einem Schreibwarenladen vorbeiging, in dem Pflastermalkreide ausgestellt war, überlegte ich, welches „wir“ der Schreiber wohl im Kopf gehabt hatte. DETLEF KUHLBRODT

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