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Der Aufsteiger, ein Charakter

Von Machiavelli zur Toscana-Fraktion: Mit Friedrich Schiller wird am Deutschen Nationaltheater in Weimar eine Satire aus dem Französischen zum zweiten Mal auf deutsche Verhältnisse umgebogen

Die Klassik predigt Bescheidenheit, der junge Regisseur aber weiß Bescheid

von FRITZ VON KLINGGRÄFF

Wie war das noch mal mit dem bestirnten Himmel in uns und dem moralischen Gesetz über uns? „Würde!“, ruft der Herr Minister in Schillers „Parasiten“ ein ums andere Mal: Würde, Bescheidenheit, Zurückhaltung ziere den aufgeklärten Staatsdiener. Aber „Ach!“, seufzt der deutsche Dichter Friedrich Schiller, die idealistische Philosophie in der Kleinstaatenwirklichkeit überprüfen wollend: Anmut und Würde sind erhaben und schön, das Charakterschwein Mensch aber ist dafür leider längst nicht edel genug.

Was also ist zu tun, wenn der Mensch in seinem Streben nach Unbestechlichkeit scheitert, wenn die Französische Revolution anno 1803 längst im Terror versunken ist und wenn der Weimarer Kulturbürger nach seiner Theaterrevolution im Frühjahr 2002 längst wieder seinen Geschäften nachgeht? Die deutsche Klassik predigt Bescheidenheit, der junge Regisseur Martin Schulze – Jahrgang 1973 und frisch vom Wiener Max-Reinhardt-Seminar kommend – aber weiß Bescheid: Man macht aus der Herrenrolle in Schillers Lustspiel, dem „Parasiten“, einfach einen Komödianten und besetzt diese Rolle als einen Minister aus der Toscana-Fraktion mit Weimars Starschauspieler Hagen Oechel. So tat es das Deutsche Nationaltheater (DNT) denn auch. Als Nachfolger seines korrupten Kollegen spielt sich der frisch gebackene Minister Narbonne durch das gesamte Repertoire seiner Möglichkeiten – mal larmoyant und leutselig, mal herrisch und aufbrausend, aber immer verspielt auf der Suche nach dem richtigen Ton –, um in seinem Verwaltungsapparat die richtige Personalentscheidung zu finden. Und das DNT hat den Beweis: Mehr als einen Oechel braucht es nicht, um einer mittelmäßigen Verwicklungskomödie zwei charmante Stunden abzugewinnen.

Weimars Intendant Stefan Märki zumindest kann darauf zählen, dass seine künftige Theater GmbH mit dieser Inszenierung selbst bei den deutlich erhöhten Preisen seine Touristen- und Schülerkarten weiter verkaufen wird. Siebzig Prozent Theater fürs Publikum, die restlichen dreißig sind fürs Wagnis, so ist Märkis Devise. „Der Parasit“ macht die siebzig voll.

Und doch ist Schillers Lustspiel-Adaption „nach dem Französischen“ in manchen Passagen mehr als dies. Witzig zumindest ist es schon deshalb, weil der deutsche Klassiker am Weimarer Hoftheater hier selbst wie ein Parasit im artfremden Territorium wilderte. Schiller übernahm Louis Benoit Picards erfolgreiche Komödie über „Le moyen de parvenir“ aus dem Paris um 1800 und macht aus dem Parvenü Dorival den Parasiten Selicourt.

Doch was wusste der Idealist aus Weimar schon von den Machtkämpfen und Buckeleien im französischen Staatsapparat, vom Absolutismus und seinem Spiegelbild, der Republik? Mehr noch: Was wusste der Theatermann im kleinen deutschen Duodez-Fürstentum vom komplizierten Beziehungsgeflecht im nachrevolutionären Zentralstaat Frankreich? Nichts – außer dass seines Herzogs Herz für den Sonnenkönig schlug und dass der Herzog bedient werden muss.

So missversteht Schiller diese ganze französische Chose denn auch auf eine ganz wunderbare und sehr deutsche Art und Weise, wenn er „die Unarten der französischen Manier“ aus dem Original merzt. Aus Picards dramatischer Studie über politische Vergesellschaftung wird ein bloßes Charakterporträt: Die Figur des Parasiten, den der gute Minister schließlich beseitigen wird, um Vater Staat wieder funktionstüchtig zu machen.

In der Weimarer Inszenierung wird genau dieses deutsche Missverständnis über parasitäre Strukturen wiederum kräftig auf die Schippe genommen. Martin Schulze hebt den Vorhang zu den Rängen erst gar nicht. Er setzt das Publikum mit auf die Hauptbühne und ersetzt auf diese Weise den bestirnten Himmel durch die Scheinwerferbatterien „über uns“. Aus der großen moralischen Anstalt wird ein kleines Studiotheater – und alles ist plötzlich nur noch Theater.

Das setzt sich im Spiel fort. Der Schiller’sche Staatsdiener Narbonne wird in Schulzes Inszenierung zum Machiavellisten reinsten Wassers: Der Schauspieler-Politiker ersetzt das moralische Gesetz „in uns“. Das reicht ihm denn auch, um die Personaldebatte in seinem Ministerium zu beenden. Heraus kommt ein Lustspiel à la Molière mit einem Bühnenbild, schlicht, fein und modern wie bei Racine – nicht direkt zum Lachen, aber trotzdem „lustig“, wie Detlef Kuhlbrodt schreiben würde. Weimars Bürgermeister zumindest amüsierte sich hervorragend über den Bürokraten Firmin (Bernd Lange), der am Ende der lachende Dritte ist. Der Parasit Selicourt (Aleksandar Tesla), der sich an Firmins Wissen und Erfahrungen gemästet hat, spielt dann jedoch keine Rolle mehr. Und das ist letztlich ziemlich traurig.

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