: Leipziger Protestbad
Politikwissenschaftler in spe springen ins kalte Wasser – bevor die Universität Leipzig ihr Institut abwickelt
LEIPZIG taz ■ Am Montagabend hüpfte ein knappes halbes Hundert Studenten reihum in das eiskalte Wasser des Brunnens vor dem Gewandhaus. „Die Protestaktion soll das Untergehen der blühenden Landschaft des Bildungslandes Sachsen symbolisieren“, sagten die angehenden Leipziger Politikwissenschaftler frierend zu ihrer Kneippkur.
Ihr Fachbereich für Politikwissenschaft hatte sich wenige Tage zuvor genötigt gesehen, ein internes Papier des Leipziger Rektors Volker Bigl zu veröffentlichen. Bigl ist der Verhandlungsführer der sächsischen Hochschulen für die Gespräche mit der Landesregierung, in dem Papier bietet er an, 108 Stellen an der Uni Leipzig in den nächsten beiden Jahren abzubauen. Das Politikinstitut fühlt sich mit seinen 1.500 Studenten von den Kürzungen besonders getroffen. Mit 170 Prozent belegter Studienplätze trägt es schon heute die größte Überlast in Sachsen.
Die Studenten befürchten, dass ihr Diplomstudiengang die Kürzungen nicht überstehen würde. Die Hälfte der Professoren werde das Haus verlassen. Als „vorauseilenden Gehorsam“ bezeichnet Studentensprecherin Maren Lange das Verhalten des Rektors – Gehorsam gegenüber der Staatsregierung nach Kurt Biedenkopf (CDU). Dessen Bestreben, vor seinem Rücktritt kommende Woche noch eine mittelfristige Rahmenvereinbarung mit den sächsischen Unis abzuschließen, war – wie berichtet – gescheitert. Dass 715 der 9.700 Hochschulstellen im Freistaat gestrichen werden, ist dennoch sicher.
Die Aktion der Leipziger Studenten war an den designierten Biedenkopf-Nachfolger Georg Milbradt adressiert. Milbradt, der Gast der „Leipziger Gespräche“ war, versprach zwar, „andere Schwerpunkte“ zu setzen. An Neustrukturierungen, von denen auch Leipzig betroffen sei, führe kein Weg vorbei.
Die Leipziger Studenten und in Sonderheit der Fachschaftsrat Politikwissenschaft sind öfter mit ungewöhnlichen Protesten aufgefallen. So engagierten sie im Februar symbolisch den ehemaligen Leipziger Rektor Cornelius Weiss, jetzt SPD-Landtagsabgeordneter, und den PDS-Historiker Werner Bramke, der lange Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses war, als Beisitzer – um dem Prüfungsnotstand an ihrem Institut abzuhelfen. „Wir sind halt Leute, die öfter den Finger heben“, meint Studentin Lange. Vielleicht werde bei ihnen deshalb so gerne gekürzt.
MICHAEL BARTSCH
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