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Film-Zeitschrift mit Einfluss

Fünf Filme aus fünf Jahrzehnten zu Ehren der Cahiers du Cinéma  ■ Von Gerd Bauder

Das französische Kino ist unbestreitbar eines der wenigen, die der Dominanz der US-Filmindus-trie umsatztechnisch aber auch künstlerisch Paroli bieten können. Gewiss, in Frankreich werden auch Großproduktionen à la Hollywood produziert, aber ebenso ein lukratives Kino mit „Anspruch“. Letzteres hat verschiedene Gründe.

Zwei ganz wesentliche Ursachen sind die praktisch ungebrochene Kinotradition in Frankreich und ein breit wahrgenommener Kino-Diskurs. Während Ersteres, vereinfacht dargestellt, dem Nichtausbluten des französisches Kinos während der Nazizeit geschuldet ist, verdankt sich die kulturelle Relevanz einheimischer Filme nicht unwesentlich der Arbeit der Filmzeitschrift Cahiers du Cinéma. Vom Filmtheoretiker André Bazin 1951 gegründet, entwi-ckelten sie sich rasch zum Zentrum der Kinodiskussion.

Ob Autorenfilm-Theorien oder Werkstudien, Polemiken oder technische Abhandlungen, bis heute erschienen und erscheinen dort grundlegende Arbeiten zu Filmtheorie und -praxis. Zugleich waren die Cahiers Keimzelle des jungen französischen Films, der Nouvelle vague: Bei Bazin konnten Film-Maniacs wie Godard, Rivette, und Truffaut, um nur einige zu nennen, als Kritiker ihre Ansichten entwickeln und durch Kontakte zu Filmschaffenden ihre ersten Schritte planen. Dies machte sie in den späten 50ern zu Erneuerern des französischen Films, die bewiesen: Ein unabhängiges und wahrhaftiges Kino kann Erfolg haben.

Es gibt also allen Grund zu feiern. Darum schicken die Cahiers und das französische Außenministerium zum Jubiläum fünf „Cahiers-Filme“ in hiesige Kinematheken. Jedes Jahrzehnt bekommt einen Film. Chabrols Der schöne Serge von 1958 ist gewissermaßen der erste Nouvelle vague-Film. Die Geschichte von der Rückkehr eines jungen Mannes, der in seinem Heimatdorf statt des erhofften Freundes einen Menschen vorfindet, der die Ideale der Jugend an Alkoholismus und Gewalttätigkeit verraten hat, ist geradezu exemplarisch umgesetzt: Damals noch unbekannte Schauspieler agieren an Originalschauplätzen, als gäbe es keine Kamera.

Die Sechziger werden mit Godards Pierrot Le Fou abgedeckt. Dieser Film signalisierte das Ende der Vague. Und der Film verdeutlicht Godards Radikalisierung, die ihn zwei Jahre später mit dem schwer konsumierbaren Week-End das „fin du cinéma“ ausrufen ließ.

Die Antwort auf Verwerfungen kann aber auch Rückzug sein. Insofern macht die Wahl von Rohmers Claires Knie aus dem Jahr 1970 Sinn. Sein bürgerliches Urlaubsidyll ist schön anzuschauen: Eine Schriftstellerin trifft ihren vor der Heirat stehenden ehemaligen Freund. Um seine Ernsthaftigkeit zu testen, stellt sie ihn zwei jungen Frauen vor. L'art pour l'art?

Thematisch ähnlich wirkt auf den ersten Blick Truffauts Die Frau nebenan von 1981. Auch hierin begegnet sich ein einstmaliges Liebespaar wieder. Bloß entsteht daraus ein wenig komödiantisches, dafür umso traurigeres Liebesspiel. Truffaut, einmal mehr in seinem Element: Melancholie beherrscht jede Szene. Ein klassisches Werk, in dem Fanny Ardant ebenso glänzt wie Gérard Depardieu. Und seine Inszenierung zeugt von Truffauts handwerklicher Meisterschaft und seiner großen Liebe zum Medium.

Den meisten Spaß aber bringt Irma Vep, der stellvertretend für die 90er Jahre ausgewählt wurde. Kenner der französischen Filmhistorie werden ob der zahlreichen Zitate und Verweise ihre Freude haben und vor allem Jean-Pierre Leauds tragikomischen Regisseur goutieren. Auch „Nicht-Kennern“ sei dieser schöne Film ans Herz gelegt, in dem Hong-Kong-Star Maggie Cheung sich selbst spielt, wie sie an einem französischen Filmprojekt scheitert. Postmodernes Kino at its best: vielschichtig, glaubwürdig und internationalistisch.

Die Gegenwart schließlich repräsentiert Agnès Varda, Autorenfilmerin der ersten Stunde. Ihre Doku Der Sammler und die Sammlerin, über ebensolche, die aus Not oder Sparsucht in Mülltonnen und auf Märkten nach Verwertbarem suchen, war in Frankreich ein Riesenerfolg. Zusätzlich zu all diesen Filmen läuft zur Eröffnung ein 33-minütiger, in dem Raoul Coutard, langjährige Kameramann von Truffaut und Godard von seiner Arbeit berichtet. Herzlichen Glückwunsch, Cahiers.

Pierrot Le Fou : Sa, 20 Uhr + Do, 21.15 Uhr; Der schöne Serge : So + Mo, 21.15 Uhr; Claires Knie : Mi, 21.15 Uhr + Do, 18.4., 19 Uhr; Der Sammler und die Sammlerin : Do, 18.4., 17 Uhr +Sa, 20.4., 21.15 Uhr; Irma Vep : Fr, 19.4., 19 Uhr, So, 21.4., 21.15 Uhr + Mo, 22.4., 22 Uhr; Die Frau nebenan : Fr, 19.4., 21.15 Uhr + Sa, 20.4., 19 Uhr, Metropolis

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