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Keine Rettung für Srebrenica

Die Eroberung der ostbosnischen UN-Schutzzone im Juli 1995 kam für die Weltorganisation und mehrere Nato-Staaten nicht überraschend. Doch konkrete Pläne, ihren militärischen Schutz rechtzeitig zu verstärken, wurden von den USA gestoppt

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Die UNO sowie die Militärführungen und Regierungen mehrer Nato-Staaten hatten mindestens vier Monate vor dem Fall der ostbosnischen UNO-Schutzzone Srebrenica im Juli 1995 sehr konkrete Informationen über die Angriffsvorbereitungen und Eroberungspläne der bosnischen Serben. Doch Überlegungen im New Yorker UNO-Hauptquartier, den militärischen Schutz Srebrenicas zu verstärken, wurden nach einer Intervention der Clinton-Administration Anfang April 1995 gestoppt. Diese neuen Erkenntnisse, die im Widerspruch stehen zu dem im November 1999 vorgelegten Srebrenica-Untersuchungsbericht von UNO-Generalsekretär Kofi Annan, erbrachten gemeinsame Recherchen der taz und des niederländischen Radiosenders VPRO.

Bereits im März 1995 lagen der seinerzeit von Annan geleiteten Abteilung für Peace-Keeping-Operationen (DPKO) im New Yorker UNO-Hauptquartier konkrete Informationen vor über die Vorbereitungen der von Radovan Karadžić und General Ratko Mladić geführten bosnischen Serben für einen Angriff und die Eroberung der UNO-Schutzzone Srebrenica. Dies bestätigen sowohl der ehemalige Bundeswehrgeneral Manfred Eisele, im Jahre 1995 beigeordneter Untergeneralsekretär der UNO für Peace-Keeping-Operationen, sowie ein weiterer hoher Offizier, der seinerzeit im DPKO für die Operationen der in Bosnien und Kroatien stationierten UNO-Schutztruppe (Unprofor) verantwortlich war, aber namentlich nicht genannt werden will. Auch hohe Offiziere und Kommandeure verschiedener nationaler Truppenkontingente (u. a. der Niederländer, Dänen und Briten), die 1995 an der Unprofor in Bosnien beteiligt waren, bezeugen, dass diese Informationen vorlagen – darunter Tom Karremans, seinerzeit Befehlshaber der in Srebrenica stationierten niederländischen Blauhelme. Die Erkenntnisse des DPKO über die Angriffsvorbereitungen der bosnischen Serben stammten aus Geheimdienstquellen der USA und anderer Länder sowie aus Aufklärungsaktivitäten von Unprofor-Offizieren.

Diese Erkenntnisse führten im März 1995 im DPKO zu intensiven Diskussionen über eine Verstärkung des militärischen Schutzes für Srebrenica. Aus diesen Diskussionen erwuchs der Vorschlag, das nur sehr leicht bewaffnete niederländische Blauhelmkontingent in Srebrenica durch die damals im nordbosnischen Tuzla stationierte und sehr viel besser und robuster ausgerüstete dänische Unprofor-Einheit auszutauschen. Die dänische Einheit verfügte unter anderem über Leopard-2-Panzer, die sie bereits bei einem Gefecht mit Milizen der bosnischen Serben im April 1994 erfolgreich eingesetzt hatte. Auch war es der dänischen Einheit durch ihr robustes Auftreten beim Begleitschutz von humanitären Hilfskonvois gelungen, jeden Konvoi sicher zu seinem Ziel zu bringen, wie General Eisele sich erinnert. Eisele ist auch überzeugt, dass es der dänischen Einheit mit ihren Leopard-Panzern möglich gewesen wäre, von Tuzla aus durch damals von den bosnischen Serben kontrolliertes Gebiet nach Srebrenica zu gelangen.

Doch alle Überlegungen für einen Austausch des niederländischen mit dem dänischen Unprofor-Kontingent wurden nach einem Treffen von DPKO-Chef Kofi Annan mit US-Außenministerin Madeleine Albright Anfang April 1995 gestoppt. Annan lehnte es auf Anfrage von taz und VPRO ab, sich zu dem Treffen mit Albright zu äußern. „Die Srebrenica-Akte ist geschlossen“, erklärte der Sprecher des UNO-Generalsekretärs und verwies auf den „definitiven“ Untersuchungsbericht „Der Fall von Srebrenica“, den Annan im November 1999 vorgelegt hatte. Darin betont der Generalsekretär, die UNO habe vor dem Juli 1995 keine detaillierten Erkenntnisse über Angriffs- und Eroberungspläne der bosnischen Serben auf die UNO-Schutzzone gehabt.

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