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Truppe durch Nadelstiche zermürbt

Bilanz der Kommandeurstagung: Gut, dass wir drüber geredet haben. Ingrimm über Entzug von Vergünstigungen und Finanznot. Verwunderung über Kujat: Warum kritisiert er Scharping, wenn er die Bundeswehrreform selbst verantwortet?

aus Hannover BETTINA GAUS

„Es ist unsere Bundeswehr, um die es hier geht“, rief Harald Kujat gestern beim Abschluss der Kommandeurstagung den etwa 600 Offizieren zu, die an der Bundeswehrveranstaltung in Hannover teilgenommen hatten. Gemeint waren die beschwörenden Worte als Aufruf an die militärische Führung der Streitkräfte, sich aktiv für die Realisierung der Bundeswehrreform einzusetzen – aber vieles spricht dafür, dass dieser Appell ungehört verhallt.

Allzu tief scheint bei vielen Offizieren der Unmut über die Finanznot und die Arbeitsbedingungen zu sitzen, die sich aus ihrer Sicht beständig verschlechtern. Von Ingrimm sei er erfüllt angesichts der Diskussion, sagte ein General des Heeres während einer Kaffeepause, und ein Offizier der Luftwaffe nickte bestätigend. Ein anderer hält „Resignation“ für die vorherrschende Gefühlslage der Tagungsteilnehmer. Wie sich der Ärger am besten in Worte kleiden lässt, hängt von der jeweiligen Mentalität der Gesprächsteilnehmer ab – weitgehende Einigkeit aber dürfte über eines herrschen: „Es ist ja gut, dass wenigstens mal offen über die Probleme geredet wird. Das ändert aber nichts daran, dass es eben keine Lösung gibt“, fasste ein General zusammen.

Eine Lösung der Probleme könnte nach Ansicht der großen Mehrheit des Offizierskorps nur in einer substanziellen Aufstockung des Wehretats bestehen. Die schlechte Stimmung der Truppe, die nicht einmal mehr von Generalinspekteur Kujat bestritten wird, ist weniger auf Fragen zurückzuführen, mit denen sich Leitartikel befassen, als vielmehr auf etwas, was Kujat eine Vielzahl von „Nadelstichen“ nannte: etwa dass für Umzüge mittlerweile nur noch ein Urlaubstag gewährt wird oder dass die Zahl der Freifahrten zur Familie verringert wurden. Die Bundeswehr ist in vielerlei Hinsicht dem öffentlichen Dienst gleichgestellt – aber derlei Probleme sind für Soldaten, die regelmäßig an neue Standorte versetzt werden, ungleich größer als für sesshafte Beamte.

Harald Kujat, der im Sommer zur Nato nach Brüssel geht, hatte in seiner letzten Rede als Generalinspekteur auf einer Kommandeurstagung unerwartet deutliche Kritik an der Finanzplanung der Bundesregierung geäußert und eingeräumt, dass die Bundeswehrreform sich wohl nicht im beabsichtigten Zeitrahmen verwirklichen lassen wird. Inhaltlich fanden das viele gut – im Blick auf „Redlichkeit, Loyalität, Stil und Wahrhaftigkeit lässt sich darüber streiten“, sagt ein General. „Er tut ja gerade so, als habe er mit der Reform gar nichts zu tun gehabt.“ Kujat sei für die Planung dieser Reform immerhin federführend verantwortlich gewesen.

Im Zentrum der Kritik aber steht Rudolf Scharping, der in seiner Rede die Finanzlage der Bundeswehr als „hinreichend“ bezeichnet hatte. Langjährige Beobachter können sich nicht erinnern, dass jemals zuvor einem Verteidigungsminister auf einer Kommandeurstagung vergleichbar eisige Ablehnung entgegengeschlagen sei. Daran dürfte auch sein klares Bekenntnis für die Beibehaltung der Wehrpflicht nichts ändern. Die Bundeswehr sei mit der Vielzahl der Auslandseinsätze inzwischen überfordert, sagte ein Heeresoffizier. Er bewertet die Frage nach einem möglichen Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten weniger politisch als pragmatisch: Er hält die logistischen Schwierigkeiten für fast unüberwindlich, selbst wenn demnächst das deutsche Kontingent auf dem Balkan verkleinert werde. Schließlich würden für jeden einzelnen Einsatz weitere Generalstabsoffiziere und Soldaten mit Englischkenntnissen gebraucht. „Wo sollen die denn alle herkommen?“

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