Osteuropa in der Klassikerstadt

Der zweite Petersburger Dialog erörtert zivilgesellschaftliche Fragen. Unbequeme Themen wie der Tschetschenienkrieg werden hohen Gästen erspart

aus Weimar BARBARA KERNECK

Der gestern zu Ende gegangene „Zweite Petersburger Dialog“ fungierte quasi als Rahmenprogramm zu den ebenfalls in Weimar stattfindenden deutsch-russischen Konsultationen. Während Wladimir Putin und Gerhard Schröder überwiegend internationale Fragen erörterten, sollte der Petersburger Dialog die Frage klären, wie vor dem Hintergrund weltpolitischer Gegebenheiten die Beziehungen zwischen den beiden Ländern möglichst fruchtbar gestaltet werden können.

Zu diesem Zwecke wurden diesmal sechs Arbeitsgruppen ins Leben gerufen. Unter anderem widmeten sie sich den Themen Krisenprävention, der Rolle der Zivilgesellschaft bei der Entwicklung eines modernen Staatswesens, Wirtschaft und Geschäftswelt, Jugendaustausch und Bildung, Kultur und – last, not least – Medien.

Dass die zweite Veranstaltung dieser Art diesmal in Weimar parallel zum Regierungstreffen stattfand, war „durchaus beabsichtigt“, wie der Kanzler in seiner gestrigen Ansprache sagte: „ … um die Kontakte auf Regierungsebene in die Zivilgesellschaften unserer beiden Länder hinein zu vertiefen.“

Was eine Zivilgesellschaft ist, hatten Wladimir Putin und seine Administration beim ersten Dialog – im letzten Jahr in Sankt Petersburg – offenbar noch nicht ganz verstanden. In der entsprechenden Arbeitsgruppe waren damals ausschließlich hohe Regierungsbeamte und Funktionäre des Energiesektors vertreten.

Unter den diesjährigen russischen TeilnehmerInnen des Weimarer Forums war eine einzige Vertreterin einer russischen Nichtregierungsorganisation: Dr. Irina Scherbakowa von der Menschenrechtsorganisation Memorial. Auf den Vorwurf, dass die Opposition in Russland hier nicht vertreten sei, antworteten die Vertreter des russischen Organisationskomitees, man habe sie ja eingeladen, aber sie hätten nicht kommen wollen.

Der Flurfunk in Weimar wusste es anders: Zum Beispiel war der im Programm angekündigte Verbrauchervertreter Alexander Ausan ebenso wenig anwesend wie Walentina Melnikowa, die Sprecherin der „Soldatenmütter Russlands“. Ausan hatte sich angemeldet, war aber nicht eingeladen worden; Melnikowa hatte sich beim russischen Veranstaltungskomitee über die Möglichkeit einer Teilnahme ihrer Organisation erkundigt, war aber abschlägig beschieden worden.

Im Unterschied zu den russischen verfügten die deutschen NGOs immerhin über die Möglichkeit, ihre Arbeit an Infoständen in der Halle gebührend zu dokumentieren. Leider wurde der geplante Rundgang präsident Putins und Kanzler Schröders durch diese Stände merkwürdig verändert. Die hohen Herrschaften hielten sich eher hinter den Ständen, um die vielen anklagenden Bilder aus Tschetschenien nicht sehen zu müssen.

Aber wenn nichts sonst, so ist doch bereits dies ein Verdienst dieses Forums: dass es gezeigt hat, wie viele und wie vielfältige Bande es zwischen den beiden Ländern inzwischen gibt, geknüpft seit etwa fünfzehn Jahren zwischen ökologischen und christlichen Organisationen, Industrie- und Handelskammern, Stiftungen, Universitäten, Vereinen und Instituten.

Ob mit oder ohne Petersburger Dialog: Die deutsch-russischen Beziehungen der Zivilgesellschaften sind von den Platzhirschen des Establishments eben gerade entdeckt worden, die sie dringlich zum Erfolg ermahnen. Dabei sind sie zu diesem Erfolg längst verdammt. Auch der Petersburger Dialog könnte zu diesem Erfolg beitragen, wenn er nicht Zustände schafft wie in der russischen Fabel von Schwan, Hecht und Krebs, die gemeinsam einen Karren aus dem Sumpf ziehen wollen: Einer zieht nach oben, einer nach unten und einer rückwärts.

Ein Beispiel dafür schilderte die Geschäftsführerin des Deutsch-Russischen Austauschs, Stefanie Schiffer. Ihre Organisation hat seit vielen Jahren Praktika für dutzende junger russischer Journalisten in Deutschland vermittelt. Vor einem Monat wurde sie vom Bundespresseamt beschieden, dass diese Mittel nun gestrichen seien: Sie würden für Veranstaltungen des Petersburger Dialogs benötigt.