: Die Rückkehr nach Afghanistan
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aus Peschawar ANTJE BAUER
Auf einem staubigen Gelände stehen Dutzende buntbemalter Lastwagen. Dazwischen Trauben von Männern in langen Gewändern, die sich unterhalten. Als sie eine Fremde sehen, kommen sie sofort heran und beginnen zu schimpfen. Sie stünden hier schon seit zwei Tagen und warteten darauf, registriert zu werden, sagen sie. Es sei heiß, und sie hätten nichts zu essen. Die UNO arbeite nicht vernünftig. Das solle die Welt erfahren.
Ein Wächter versucht von Zeit zu Zeit, die immer zahlreicher werdenden Männer mithilfe eines langen Holzstocks auf Distanz zu halten. Sie weichen kurz zurück, doch dann kommen sie wieder auf Nasenlänge heran, um weiterzuschimpfen. Sie sind Afghanen, und sie wollen in ihre Heimat zurück. Die Grenze liegt nur wenige Stunden Autofahrt von hier entfernt, jenseits des Khyber-Passes. Und nun warten sie hier ungeduldig und kommen nicht weiter.
Seit dem 1.März können sich Afghanen, die ihr Exil in Pakistan verlassen und nach Hause zurückkehren wollen, an diesem Ort vom UNHCR, dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, registrieren lassen. Sie bekommen dann jenseits der Grenze pro Familie 100 Dollar ausbezahlt, als Rückkehrhilfe. Einmal an ihrem Bestimmungsort angelangt, haben sie ferner Anrecht auf Decken, Brennstoff und ein Paket mit Grundlebensmitteln. Den Transport müssen sie freilich selbst organisieren. Die Vereinten Nationen halten die Lage in Afghanistan für nicht stabil und rufen deshalb weder zur Rückkehr auf, noch organisieren sie die Heimreise der Flüchtlinge. So mieten diese einen Lastwagen, packen Frauen, Kinder und ihre Habseligkeiten auf die Ladefläche und kommen hierher, nach Tahta Bik, um sich registrieren zu lassen.
Die Bürokratie der Steinzeit
Am Anfang waren es nur wenige, die zurückkehren wollten. Doch seit Mitte März sind die Mitarbeiter des UNHCR völlig überfordert von dem Ansturm. Mehr als 150.000 Afghanen haben Pakistan innerhalb eines Monats verlassen und sind in ihr Land zurückgekehrt. „Die Finger unserer Mitarbeiter sind wund von der vielen Arbeit“, klagt Jamshid Ahmad vom UNHCR. Er sitzt in einem Gehöft, das an den Platz mit den Lastwagen angrenzt. An Holztischen füllen Angestellte des UNHCR unablässig dicke Formulare aus. Name des Haushaltsvorstands, Alter, Geschlecht, Namen der Familienangehörigen, Herkunftsort in Afghanistan, Ort des Exils, Immobilien in Afghanistan und deren Zustand (zerstört oder nicht) – zahlreich sind die Einzelheiten, die hier aufgenommen werden. Der Haushaltsvorstand muss außerdem ein Passfoto mitbringen, das wird an das Formular geheftet. Alt aussehende Männer mit langen Bärten sitzen vor den Tischen, geben Auskunft und drücken dann anstelle einer Unterschrift ihren Daumen auf das Dokument.
In der nahegelegenen Grenzstadt Peschawar ist es ein offenes Geheimnis, dass viele – wie viele? – mehrfach aus- und wieder einreisen. Rechtschaffene afghanische Flüchtlinge ärgert das. „Heute war einer bei mir, der ist schon zwei Mal aus- und wieder eingereist, und hat beide Male 100 Dollar kassiert“, sagt der afghanische Souvenirhändler Taher Muhtar in Peschawar empört. „Das muss man verhindern, das ist Betrug! Soll die UNO doch lieber Arbeitsplätze schaffen, damit die Leute was tun für ihr Geld.“ Ein Vorschlag, den Melita Sunjic, UNHCR-Sprecherin in Islamabad, als unmöglich zurückweist: „Wir sind eine Flüchtlingsorganisation“, sagt sie. „Wir sind nicht berechtigt, Fabriken zu bauen. Wir können hier nicht mehr tun, als Nothilfe zu leisten.“
Die pakistanische Regierung lässt agfhanische Flüchtlinge, die das Land einmal verlassen haben, nicht wieder zurück. Theoretisch. Doch die Grenze ist durchlässig. Vor allem in der afghanischen Grenzregion Nangarhar weiß jedes Kind, wo man die Grenze zu Pakistan überqueren kann, ohne kontrolliert zu werden. Eine jahrhundertealte Schmugglertradition verpflichtet. Wer Geld hat, braucht außerdem gar nicht erst die Eselspfade einzuschlagen: Er besticht die pakistanischen Grenzposten und fährt bequem mit dem Auto nach Pakistan zurück.
Die Durchlässigkeit der Grenze hat Vorteile für den Normalisierungsprozess in Afghanistan. Fast jede afghanische Flüchtlingsfamilie in Peschawar hat inzwischen einen Mann hinüber nach Afghanistan geschickt, damit er nachsieht, wie die Sitiuation zu Hause ist. Manchmal reisen auch ganze Familienverbände. Eine Nomadenfamilie, die im Flüchtlingslager Kacha Gary am Rande von Peschawar lebt, ist kürzlich komplett zu einer Hochzeit nach Dschalalabad gereist: Mit Großmutter und einem Säugling. „Wir konnten danach mehrere Tage lang nicht laufen, vor allem meine Schwiegermutter war ziemlich krank“, klagt die junge Mutter. Aber das letzte Mal war es bestimmt nicht.
Die Möglichkeiten des UNHCR, mehrfache offizielle „Ausreisen“ zu unterbinden, sind äußerst eingeschränkt, trotz Passfotos und detaillierter Angaben auf dem Formular. Computer, in denen die Daten gespeichert und verglichen werden könnten, gibt es hier nicht. Jamshid Ahmad vom UNHCR sagt: „Wir fertigen zurzeit täglich 2.000 Familien ab. Wie sollen wir denn herausfinden, ob jemand letzte Woche schon einmal ausgereist ist?“
Nicht alle haben es eilig
Überall in der afghanischen Exilgemeinde wird über die Rückkehr nach Afghanistan gesprochen: Im Lager Kacha Gary, in dessen Lehmhäusern vor allem Flüchtlinge aus der Grenzregion leben, wo die Gassen ausgewaschenen Wadis gleichen und die Kinder auch im Winter barfuß gehen. In Jalosai etwas außerhalb von Peschawar, dessen Gassen begrünt und sauber gefegt sind, weil die Bewohner fast alle aus Städten kommen. Und in Hayatabad, dem Nobelviertel von Peschawar, in dem vor allem diejenigen Afghanen leben, die sich im Exil etablieren konnten. Nicht alle haben es jedoch gleichermaßen eilig.
„Wir haben in den letzten zwei Monaten eine Umfrage in Peschawar und Umgebung gemacht bezüglich der Bereitschaft der Flüchtlinge, zurückzukehren“, sagt Esther Robinson von der NGO Dacaar. „Wir haben festgestellt, dass die Bereitschaft derer am größten ist, die hier im städtischen Umfeld tätig sind. Die sagen sich: Wenn wir uns hier mit kleinen Geschäften durchschlagen können, dann geht das dort auch.“
Der Bauer Hadschi Muhammad Yunis wartet schon seit zwei Tagen darauf, registriert zu werden und die Straße in Richtung Khyberpass einzuschlagen. Er stammt aus der Provinz Wardak, aber dorthin will er nicht zurück. „Dort gibt es kein Wasser und keinen Strom“, sagt er, „deshalb gehe ich lieber nach Kabul.“ In den Jahren im pakistanischen Exil hat er Teppiche geknüpft und hofft, auch in der afghanischen Hauptstadt davon leben zu können. „Kabul ist gut“, sagt er, „dort gibt es alles, und sicher ist man auch.“ Von einem Lastwagen schaut eine alte Frau neugierig herunter: Nur die älteren Frauen und die Kinder lugen gelegentlich hinter den Planen hervor; die jungen Frauen bleiben im Laderaum verborgen. „Ich fahre nach Dschalalabad“, sagt sie. „Ich bin froh, zurückzukehren. Afghanistan ist unsere Heimat.“
Übergriffe auf Minderheiten
Froh, zurückzukehren, sind sie alle hier. Doch ihre Aussichten sind so rosig nicht. Weite Gebiete Afghanistans sind minenverseucht und werden noch Jahrzehnte lang Menschen töten oder verstümmeln. Bewaffnete Banden treiben auf dem Land zunehmen ihr Unwesen – die internationalen Truppen bleiben in Kabul. Und Human Rights Watch hat darauf hingewiesen, dass es in letzter Zeit verstärkt zu Übergriffen auf Angehörige ethnischer Minderheiten gekommen ist (siehe Kasten)
Am wenigsten drängt es die Kabulis, die ursprünglichen Einwohner von Kabul, schnell in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Sie haben sich im pakistanischen Exil eingerichtet: Sie lesen ihre eigenen Zeitungen, gehen zum afghanischen Bäcker, besteigen die Taxen afghanischer Fahrer und betreiben eigene Schulen. Fausia Asimi ist Direktorin einer Schule für afghanische Mädchen, die von einem Verein afghanischer Frauen in Deutschland unterstützt wird. „Wir sind glücklich hier“, sagt sie. „Wir haben eine sehr gute Schule, wir können nicht klagen. Wie es in Afghanistan sein wird, können wir nicht abschätzen. Deshalb ist es besser, noch abzuwarten.“
Viele, die es hier in Peschawar gut haben, stehen dennoch mit einem halben Bein schon auf der anderen Seite der Grenze. „Ich will mal nach Kabul fahren und dort nach meinem Souvenirladen sehen“, sagt Taher Muhtar, der rechtschaffene Souvenirhändler, in seinem kleinen Geschäft in Peschawar. Sein Blick schweift über die Kästchen aus Lapislazuli, über die silbernen Armreifen und die Aquarelle des Künstlers Rabani, der auch im Exil immer nur Kabul malt. „Ob ich vielleicht schon ein paar Artikel dorthin mitnehmen sollte?“
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