Sammlung der Truppen

Die Freunde und Feinde der Gemeinde: Mit einem „Brief aus Amerika“ haben sich 150 Intellektuelle „An unsere Freunde in Europa“ gewandt – und gegen das Kollegenmanifest vom „gerechten Krieg“

Afghanistan ist für die Unterzeichner nur die Fortsetzung alter US-Machtpolitik

Es gebe womöglich nur noch zwei kritische Intellektuelle in den Vereinigten Staaten, mutmaßte kürzlich Richard Sennett in Berlin in einem Radiointerview: ihn und Susan Sontag. Es mochte ihm so scheinen. Tatsächlich hatte der Informationsdienst des State Department am 13. Februar bekanntgegeben, dass 58 amerikanische Intellektuelle George Bushs Krieg gegen den Terrorismus in einem öffentlichen Manifest gutgeheißen hatten, unter ihnen die Soziologen Amitai Etzioni und Francis Fukuyama, der Historiker Samuel P. Huntington und der Philosoph Michael Walzer. Doch Sennett irrte. Seit dieser Woche gibt es einen Brief von 150 US-Akademikern „An unsere Freunde in Europa“, in dem sie die Rede vom „gerechten Krieg“ verurteilen, die das Manifest „What we are fighting for“ führte.

Die Unterzeichner des Briefes sind nicht gar so prominent wie die Stimmen, die das konservative „Institute for American Values“ versammeln konnte, unter dessen Banner „What we are fighting for“ veröffentlicht wurde. Gore Vidal und der Physiker Alan Sokal, dessen Abrechnung mit dem Poststrukturalismus vor Jahren für Skandal gesorgt hatte, stehen für die bekanntesten Signaturen. Ansonsten unterzeichnete die akademische Linke wie etwa der Historiker Howard Zinn, die Ökonomen Edward Herman und Dean Baker oder der katholische Bischof und Menschrechtsaktivist Thomas Gumbleton.

Trotzdem, Richard Sennett bleibt allein. Denn dem Brief haftet der strenge Geruch linker Orthodoxie und radikaler Campus-Mentalität an. Und so werden, wenn die Unterzeichner bezweifeln, dass der Feldzug in Afghanistan gegen die al-Qaida durch das Recht der USA auf Selbstverteidigung gedeckt sei, gleich die alten Rechnungen aus Vietnam, Laos, Kambodscha oder Panama wieder aufgemacht. Für diese Länder habe dieses Recht aus amerikanischer Sicht schließlich nie gegolten. Das Recht auf Selbstverteidigung, das Amerika reklamiert, ist in dieser Lesart sowieso nur der Deckmantel für „das Recht des Stärksten, das Gesetz des Dschungels“ und Afghanistan also nur die Fortsetzung der altbekannten Machtpolitik, keinesfalls eine spezifische Reaktion auf die Anschläge vom 11. September. Ins Unermessliche gingen die materiellen Zerstörungen in Folge des Krieges gegen den Terror, heißt es, und Millionen von Menschen müssten hilflos zusehen, wie ihre Welt von den Vereinigten Staaten „verwüstet wird, einem Land, das seine moralische Autorität für ebenso absolut und unanfechtbar hält wie seine militärische Macht“.

Doch nicht allein das treibt die Briefschreiber um. Sie wenden sich an ihre „europäischen Freunde“, offenbar von der schwer dialektischen Hoffnung beflügelt, diese Freunde seien vielleicht gar keine Freunde dieses Amerika, sondern eher Feinde, nämlich just so antiamerikanisch eingestellt, wie das die Regierung Bush beklagt. Man solle sich jedoch von diesem Begriff nicht einschüchtern lassen, schreiben unsere amerikanischen Freunde, mit dem „absurderweise auch US-Amerikaner gebrandmarkt werden, die die Kriegspolitik kritisieren und deren Protest durch den Chauvinismus unterdrückt wird, der einen Großteil der Medien beherrscht“.

Eine „rationale und offen vorgetragene europäische Kritik an der Politik der Bush-Administration“ sei daher dringend nötig, denn sie könne dazu beitragen, den gegen den Krieg eingestellten Amerikanern im eigenen Land Gehör zu verschaffen. Yes Sir! Europäer tragen rationale Kritik sogar auf hoher Regierungsebene offen vor – nur nicht immer ganz im Sinne der 150 Kritiker des Präsidenten Bush. Rationale Kritik gab und gibt es zu den amerikanischen Vorstellungen des Umweltschutzes, des Patent- und Urheberrechts, neulich auch zur Frage des globalen Stahlhandels. Auch die Reaktion auf das Papier der 58 Konservativen war hier weit lebhafter als in den USA selbst. Der Begriff des „gerechten Krieges“ vor allem sorgte für einige Irritation, jedoch nicht deswegen, weil Europäer dabei zuerst an Vietnam denken. Jahrhunderte eigener Geschichte voller gerechter Kriege haben ihnen diesen Begriff heute unbrauchbar gemacht. Richard Sennet wiederum, der zurzeit in Berlin wohnt, versteht das sehr gut. Deshalb versteht er, warum Europäer die amerikanische Außenpolitk nicht verstehen. Die USA, sagt er, seien ein Land voller unversöhnlicher Konflikte zwischen Rassen, Kulturen und Klassen. Als einheitliche Nation könne es daher nur religiös beschrieben werden, und seine Kriege könnten aus demselben Grund immer nur als Kriege gegen das religiös definierte Böse dargestellt werden.

Und was ist mit seinen Freunden, den europäischen zumal? Wenn Richard Sennet Recht hat, können auch sie nur religiöse Freunde sein, Mitglieder der Gemeinde im Kampf für das Gute also, ganz so, wie das ja auch die 150 Kritiker des Präsidenten sich wünschen.

Recht haben sie vielleicht weniger damit, dass sie die Höhe der Leichenberge aufrechnen. Wohl aber damit, dass es nicht antiamerikanisch ist, antiamerikanisch zu sein.

BRIGITTE WERNEBURG