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Umweltweise: Das Glas ist halb voll

Gutachten der Sachverständigen attestiert Rot-Grün eine insgesamt befriedigende Umweltpolitik. Große Probleme bei Klima, Lärm, Flächenverbrauch und Artensterben. Deutschland soll international wieder Vorreiter bei der Ökoentwicklung werden

aus Berlin BERNHARD PÖTTER

Rechtzeitig zum beginnenden Wahlkampf ist die Bundesregierung gestern von den deutschen „Umweltweisen“ für ihren umweltpolitischen Kurs gelobt worden. „Die Bilanz von Rot-Grün kann sich in der Summe durchaus sehen lassen“, sagte Martin Jänicke, der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen, bei der Übergabe des Berichts für 2002. Als Pluspunkte für die Schröder-Regierung nannte Jänicke die Förderung der erneuerbaren Energien, den Atomausstieg, die Lkw-Maut, das neue Naturschutzgesetz und den Beginn der Agrarwende.

In ihrem letzten Bericht vor zwei Jahren hatten sich die Umweltweisen vom Kurs der Koalition noch weit weniger beeindruckt gezeigt. In der Zwischenzeit wurde das siebenköpfige Beratungsgremium der Regierung turnusmäßig neu besetzt, doch Kritik äußert auch der neue Rat: „Es gibt keinen Anlass zur Entwarnung“, so Jänicke. „Die Umweltprobleme beim Klimaschutz, dem Flächenverbrauch, dem Artensterben, der Lärmbelästigung und durch Gefahrenstoffe sind nicht gelöst.“ Das Klimaschutzziel, im Jahr 2005 insgesamt 25 Prozent weniger CO[2]als 1990 auszustoßen, sei nur mit größten Anstregnungen zu erreichen. Die Bundesregierung müsse sich auch gegen Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) dazu verpflichten, den Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken. Der nämlich habe die „notwendigen Kosten erheblich überschätzt“, heißt es.

Zentral ist für die ExpertInnen, dass die Ökosteuer stetig weitergeführt wird, sodass sich VerbraucherInnen und Industrie darauf einstellen können. Kritik üben sie auch an der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, die mit falschen Indikatoren messe. Ein „Konzept, das für jedes wichtige Thema offen ist“, verliere seine Orientierungsfunktion, sagte Ratsmitglied Konrad Ott, Philosophieprofessor an der Uni Greifswald. So zeichne die Wahl der Umweltindikatoren ein „unangemessen positives Bild der Entwicklung“, es fehle etwa ein Indikator für den Pestizideinsatz.

Auch das Zwangspfand auf Einwegverpackungen lehnen die Sachverständigen ab, da es die Mehrwegsysteme ganz aus den Läden verdrängen könne. In der Landwirtschaft seien die Förderung des Ökolandbaus und die Umschichtung der Gelder von der Produktion hin zu Umweltmaßnahmen der richtige Weg, sagte Christina von Haaren, Professorin für Landschaftspflege aus Hannover. Doch die Kofinanzierung der EU-Gelder durch die Bundesländer solle abgeschafft werden, „weil bisher oft die armen Länder, die das Geld besonders brauchen, das nicht leisten können“. Kaum Fortschritte gibt es für die Umweltweisen auch beim Thema Abfall („bisher kein wünschenswertes Umsteuern“) oder bei der Lärmbelastung. Die Energiegewinnung aus der Kraft-Wärme-Kopplung müsse verstärkt werden.

Insgesamt fordert das Gutachten einen Öko-Ruck durch Deutschland: Die ExpertInnen unterstützen „umweltpolitische Pionierleistungen“ – und zwar auch aus Eigennutz: Eine „kalkulierte nationale Vorreiterrolle“ biete „erhebliche wirtschaftliche und ökologische Chancen“, heißt es. Auch international solle Deutschland wieder den Mut haben, voranzugehen. So erklären die AutorInnen des Berichts, die EU leide bei der Erstellung einer Nachhaltigkeitsstrategie unter „offensichtlicher institutioneller Überforderung“. Nötig sei ein ständiger Ausschuss oder eine Task-Force, die direkt dem Präsidenten der EU-Kommission zugeordnet sei. Fortschritt gebe es nur mit Schrittmachern: Ohne das „Vorreiter-Tandem Deutschland-Großbritannien“ wäre bei den Klimaschutz-Verhandlungen zum Kioto-Protokoll noch weniger herausgekommen.

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