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Guerilla-Coup in Kolumbien

Der Krieg kommt in die Städte: Als Bombenexperten verkleidet „evakuieren“ Guerilleros der Farc das Parlament in Cali und entführen zwölf Abgeordnete

BOGOTÁ rtr/taz ■ In Kolumbien haben linke Rebellen am Donnerstag offiziellen Angaben zufolge zwölf Abgeordnete des Provinzparlaments von Cali entführt. Bewaffnete Mitglieder der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) seien als Bombenexperten der Polizei verkleidet im Sitzungssaal erschienen und hätten die Abgeordneten über Megafon aufgefordert, wegen einer Bombendrohung das Gebäude durch einen Notausgang zu verlassen, berichteten Augenzeugen. Dort hätten weitere Uniformierte gewartet, alle Personen gefragt, ob sie Abgeordnete seien, und all jene, die sich als solche zu erkennen gaben, in einen bereitstehenden Bus geleitet. Andere Guerilleros regelten den Verkehr. Zwölf Abgeordnete brausten schließlich mit ihren Geiselnehmern im Bus davon.

Durch vier Sprengsätze im Parlamentsgebäude, dem nahe gelegenen Innenministerium und gegenüber einer Kirche in der Innenstadt, von denen drei rechtzeitig entschärft werden konnten, sicherten die Guerilleros ihre Flucht ab. Einem Polizisten wurde die Kehle durchgeschnitten.

Der Parlamentspräsident Juan Carlos Narváez bestätigte telefonisch einem lokalen Rundfunksender, dass er unter den Verschleppten sei. Er las eine Erklärung vor, die offenbar von den Farc-Rebellen verfasst worden war. Darin hieß es, die Armee solle die Suche nach den Abgeordneten abbrechen. Eine Freilassung können nur durch Verhandlungen erwirkt werden. Narvaez reichte das Telefon an einen Mann weiter, der sich als Farc-Anführer ausgab. Er kündigte für den gestrigen Freitag eine Erklärung zu der Entführung an.

Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana verurteilte die Tat und sagte eine Reise nach Costa Rica ab, wo er an einem zweitägigen Gipfeltreffen lateinamerikanischer Staats- und Regierungschefs teilnehmen wollte. Er forderte die Bevölkerung auf, den Regierungsbehörden Hinweise auf den Aufenthaltsort von führenden Köpfen der Guerilla zu geben. Die Behörden garantierten den Zeugenschutz und hohe Belohnungen, sagte Pastrana nach einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrates. Er forderte die Farc auf, die entführten Abgeordneten umgehend freizulassen.

Die Farc hatten nach dem Zusammenbruch der Friedensgespräche im Februar damit gedroht, ihren Untergrundkrieg von den ländlichen Regionen auch in die Städte zu tragen. Cali ist mit rund zwei Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Kolumbiens.

Am Dienstag hatten vermutete Farc-Rebellen vier Bomben im Zentrum der Hauptstadt Bogota unweit von Regierungsgebäuden deponiert. Bei der Detonation wurden drei Menschen verletzt. Am selben Tag war eine Autobombe in einem Vorort von Bogotá explodiert. Zwei Polizisten, die die Bombe entschärfen wollten, wurden getötet.

Die Farc-Rebellen haben derzeit rund 800 Menschen in ihrer Gewalt, darunter fünf Abgeordnete des nationalen Parlaments und die Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Sie wurde am 23. Februar verschleppt. Die Farc will die Geiseln gegen Gefangene austauschen.

Präsident Pastrana hatte die Friedensgespräche mit der Farc im Februar trotz internationaler Vermittlungsbemühungen abgebrochen. Daraufhin war das Militär in die bis dahin der Farc im Rahmen der Friedensbemühungen zur Verfügung gestellte entmilitarisierte Zone eingedrungen, in der es seither täglich zu bewaffneten Zusammenstößen kommt. Am 26. Mai finden in Kolumbien Präsidentschaftswahlen statt. pkt

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