Neun aus 5.204: Die älteste taz-Genossin
„Offensives Altern“. So nannte sich die Gemeinschaft älterer Frauen, der Elisabeth Leithäuser aus Berlin-Schmargendorf – solange es ihre Gesundheit erlaubte – angehörte. Auch auf Elisabeth Leithäuser trifft beides zu: Sie ist offensiv und sie ist alt. Ja, mit ihren 87 Jahren ist sie die älteste taz-Genossin. „Ich liebe euch“, erklärt sie recht freimütig, auf den zehnten Geburtstag der taz-Genossenschaft angesprochen.
Allerdings sagt Elisabeth Leithäuser auch, „ich lese euch nicht mehr“. Der Grund: Das Deutsch der taz gefalle ihr nicht mehr. Auch mit dem Kulturteil könne sie nur noch wenig anfangen. Aber aus der Genossenschaft aussteigen – das will sie auf gar keinen Fall. Schließlich sei sie „immer auf der Seite der Schwachen“ gewesen: während der Nazizeit in einer kommunistischen Jugendgruppe, später als Journalistin, Autorin, Krankenpflegerin, Leiterin eines Hauses zur Rehabilitation psychisch Kranker und als Aktivistin der Friedensbewegung.
Nein, sie habe keine Hoffnung, dass sie noch einmal die taz abonnieren werde: Schließlich könne man doch nicht alles lesen, begründet sie ihre Abstinenz. Aber, sagt Elisabeth Leithäuser: „Ich finde euch nett.“ Und das entschädigt für vieles. GES
Die Gründungsgenossin
Editha Stürtz-Frase konnte die taz nicht mehr ertragen. Die heute 56-Jährige kündigte das Abo. Obwohl sie Genossin war, sogar Gründungsgenossin. Aber es ging nicht mehr. Sie sagte: „Immer wenn ich die taz lese, erfahre ich doppelt und dreifach, wie schlecht die Welt ist.“ Das war vor fünf Jahren.
Eigentlich ist es untypisch für Editha Stürtz-Frase, nichts mit den Problemen der Welt zu tun haben zu wollen. In den 80er-Jahren gehörte die medizinisch-technische Assistentin zur Friedensbewegung, erst diese Ostern war sie wieder bei einem Ostermarsch dabei. 1986 musste sie Bußgeld zahlen, weil sie nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl „Atomkraft? – Nein danke!“ an eine S-Bahn-Unterführung gesprüht hatte. Als Bezirksverordnete einer unabhängigen Wählergemeinschaft engagierte sie sich in Berlin-Zehlendorf gegen die Strahlenbelastung durch Mobilfunkantennen. Stürtz-Frase ist eine, die mitmacht.
Also zeichnete sie auch ihren zweiten Anteil, als die taz 1999 wieder zur Beteiligung an der Genossenschaft aufrief. In ihrem Bekanntenkreis im schicken Stadteil Zehlendorf kennt sie sonst niemand, der taz-Anteile hat. „Ich gehe damit auch nicht hausieren.“ Vor eineinhalb Jahren hat sie ihre Auszeit als taz-Abonnentin beendet. LÖW
Vom Genießer zum Genossen
Für Rolf Roeder gibt es zwei wichtige Medien am Tag. Das eine misst in der Diagonalen 17 Zoll, ist aus Kunststoff und Glas, und der 50-Jährige braucht es zum Arbeiten. Das andere ist 32 Zentimeter breit, aus Papier und dient ihm zum Vergnügen. Damit beginnt Rolf Roeder. Zuerst schaut er sich an, was vorne draufsteht, dann dreht er das Medium um und amüsiert sich über den Streifen auf der letzten Seite. Rolf Roeder liest die taz. Mindestens eine halbe Stunde, höchstens eine. 9 Uhr ist Schluss. Er geht in seiner Frankfurter Wohnung ins Arbeitszimmer und setzt sich vor den 17-Zoll-Bildschirm. Roeder ist Programmierer. Mit Kollegen hat er ein Programmpaket entwickelt, mit dem Großhandelsfirmen Rechnungen schreiben und ihr Lager verwalten. Um 16 Uhr ist Rolf Roeder fertig. Dann hat er wieder Zeit für die taz. Er könnte auch am Computer sitzen bleiben und sich durch die digitaz klicken. Aber mit der Zeitung kann er sich in seinem Sessel zurücklehnen, von einer Überschrift zur nächsten springen und zurückblättern. Am Morgen schafft er meist neben Titelseite und Touché die Schwerpunktseiten, am Abend den Rest.
Vor einem Jahr wurde er vom reinen taz-Genießer zum taz-Genossen. Zudem unterstützte er die taz nrw mit 1.000 Euro. „Wenn die taz nrw ein Erfolg wird“, sagt Roeder, „gibt es vielleicht einen Lokalteil fürs Rhein-Main-Gebiet.“ Vielleicht muss er das Papiermedium dann mit ins Arbeitszimmer nehmen. LÖW
Der Doppelgenosse
Es war, als käme der Hausarzt zu seinem Patienten. Lothar Bisky stand in der Tür, um der chronisch kränkelnden taz zu helfen. Statt Hustensaft hatte er 1.000 Mark mitgebracht. Der Genosse Vorsitzende wollte taz-Genosse werden. Unangemeldet klopfte der damalige PDS-Bundesvorsitzende bei Chefredakteurin Bascha Mika an. Ausgerechnet ein Spitzenpolitiker wollte die Unabhängigkeit der taz sichern helfen? Aber schließlich hat ein Genosse nur eine Stimme und auch nicht in der Redaktionskonferenz, sondern in der Genossenschaftsversammlung. Also wurde der Genosse Genosse und bekam als Willkommensgeschenk eine rote Krawatte mit kleinen Tazzen.
Wer damals die Idee für die Hilfsaktion hatte, daran kann sich Bisky nicht mehr so recht erinnern. Der 61-Jährige bestreitet, dass er damit auch dem Image der PDS helfen wollte. Er unterstützt die taz, „weil ich dafür bin, dass alternative Blätter existieren in dieser Medienmonotonie“. Bisky glaubt, die taz und er seien sich inzwischen „natürlich näher gekommen“. Obwohl er „in der Militärpolitik gern mehr kritische Töne“ hören würde. Obwohl Wiglaf Droste mal über ihn gelästert hat, er wirke „knuffig wie ein Bernhardiner auf Valium“. Außer der taz besitzt Bisky, Professor für Film- und Fernsehwissenschaft, keine Anteile an Medien. Er will auch keine kaufen. Auch wenn nach der Kirch-Pleite einiges auf dem Markt ist. „Den Schrott brauchen wir nicht“, sagt er. Die Genossenfamilie
Immer wenn Monika Schröter ihre Freunde besuchte, lag die Zeitung mit dem roten Schriftzug auf dem Esstisch. Die heute 51-Jährige war neugierig. Schließlich wollte die Sozialarbeiterin ihre eigene taz und bestellte ein Abo. Das wat in den 80ern.
1993 lernte sie den Familienrichter Ulrich Schröter kennen, ihren heutigen Mann. Zwei Jahre später zogen sie in Habichtswald bei Kassel zusammen, Ulrich Schröter brachte seine beiden Kinder mit in die Familie, die damals 14-jährige Christiane und den 15-jährigen Gerhard. Noch etwas war neu: Auf dem Esstisch lag eine fremde Zeitung. Grüner Balken. Großes Format. Frankfurter Rundschau. Ulrich Schröter las sie seit dem Studium. Monika Schröter legte ihre taz dazu. Christiane, Gerhard und Ulrich wurden neugierig. Auf Wahrheit, Tom-Touché, Überschriften. Schon damals fand der heute 52 Jahre alte Ulrich Schröter die „Sprache manchmal zu heftig“, aber sie lasen nun alle – neben Rundschau und Lokalzeitung – die taz. Samstags lösten alle zusammen das Rätsel.
1999 steckte die taz in der Krise. Beim Abendessen beschlossen die Schröters, mit Genossenschaftsanteilen ihr Rätsel zu sichern. Und die Wahrheit, Tom, die Überschriften. Jedes Familienmitglied bekam einen Anteil. Monika Schröter sagt, die Idee habe ihr Mann gehabt. Der Rundschau-Leser. LÖW
Genosse Handverkäufer
In Matthias Hennings Verhältnis zur taz ist der Genossenschaftsanteil der Ruhepunkt. 1.000 Mark hat er während der Rettungskampagne „taz muss sein“ im Herbst 2000 gezeichnet. An der Höhe seiner Beteiligung wird sich nichts ändern. Mehr kann sich der 43-Jährige nicht leisten, und zurückgeben wird er den Anteil auch nicht, weil er es gut findet, „die Unabhängigkeit der taz zu sichern“.
Wechselhafter ist Hennings Verhältnis zur taz an drei Abenden in jeder Woche, an denen er als Handverkäufer im Prenzlauer Berg in Berlin arbeitet. Um 20.45 Uhr trifft er mit dem Rad bei der Kneipe „MS Völkerfreundschaft“ ein. Dort erwarten ihn gut 50 taz-Exemplare. „Ich weiß sofort, ob der Abend läuft“, sagt er. Lustige Titelseite oder Ostbezug heißt: schneller und großer Absatz. „Jeden Tag eine gute taz“, ruft Henning dann selbstbewusst in den Biergärten. Langweilige Überschriften, „oder wenn Scharping drauf ist“, heißt: Auch nach Mitternacht ist er nicht alles los. Henning liest die Texte auf Seite 1, untersucht die taz und schreibt sich einen Spickzettel mit den wichtigsten Themen, den er je nach Klientel einsetzt. Manchmal verschlechtert sich seine Laune, wenn er merkt, dass eine Schlagzeile „nicht gut abgesichert und spekulativ ist“. So was ist ihm peinlich. Das ist anders als in seinem früheren Beruf als Briefträger, als er nichts mit dem Produkt zu tun hatte.
Manchmal wird aus einem miesen Abend auch ein guter. Als die taz Hannelore Kohls Tod auf Seite 1 brachte, ärgerte sich Henning: „So was müssen wir nicht auf dem Titel haben.“ Das änderte sich schnell. Nach weniger als zwei Stunden waren alle Exemplare weg. LÖW
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