: Ausländische Ausrutscher
Hamburger Anwalt: MigrantInnen vermehrt „irrtümlich“ Opfer polizeilicher Gewalt. Politische Absicht von Schwarz-Schill ■ Von Kai von Appen
Als Anwalt für MigrantInnen ist Mahmut Erdem entsetzt, als ehemaliger grüner Bürgerschaftspolitiker aber gibt er sich diplomatisch. „Ich vermute“, sagt Erdem, „dass das politisch von Schwarz-Schill genau so gewollt ist.“ Er vertritt drei Mandanten, die in jüngster Zeit Opfer willkürlicher und unzulässiger Polizeigewalt wurde – jedes Mal „irrtümlich“.
Zum Beispiel Volkan Y.: Am 22. März befindet sich der Zwölfjährige in der Conventstraße in Wandsbek auf dem Weg zu einem Mitschüler, um gemeinsam Hausaufgaben zu machen. Plötzlich stürzen sich zwei Männer in Zivil auf ihn, er wird gepackt und zu Boden geworfen, die Handschellen klicken. ,„An wen hast du die Drogen verkauft? Wie hast du das gemacht“, hätten die Männer ihn gefragt, berichtet Volkan der taz hamburg, und ihn in einen Peterwagen verfrachtet. „Ich wollte über Handy meine Eltern anrufen, aber das haben die mir verboten.“
Ein Anwohner interveniert: „Das ist ein Nachbarsjunge“, doch auch ihm wird Gewalt angekündigt: „Gehen Sie zurück, sonst nehmen wir Sie auch mit“. Er alarmiert die Eltern. „Schockiert“ weist Vater Hüseyin Y. auf das Alter des Kindes hin. Erst nach weiteren Minuten kommt über Funk die Entwarnung: „Eine Verwechslung“, brummeln die Drogenfahnder und lassen den Jungen ohne ein Wort der Entschuldigung frei.
„Die Familie fühlt sich durch die Maßnahme diskrimiert“, sagt Erdem. Er hat Anzeige beim Dezernat Interne Ermittlungen der Polizei erstattet. Vorwurf: Freiheitsberaubung und unverhältnismäßige Behandlung von Schutzbefohlenen. „Es war eine Verwechslung“, räumt Polizeisprecherin Ulrike Sweden ein. Fahnder wollen vor einer Moschee einen Deal beobachtet haben und hatten die Beschreibung der Flüchtigen über Funk durchgegeben. „Er rannte über die Straße, und die Beschreibung der Kleidung passte“, sagt Sweden. Versuche der Polizei, sich zu entschuldigen, seien bislang fehlgelaufen. Sweden: „Die Bereitschaft für eine Entschuldigung ist immer noch da.“
Im Februar wurde, zweites Beispiel, die Wohnung von Huseyin E. in Eidelstedt gestürmt. Der Vater von zwei Kindern war unter Verdacht geraten, am 28. Dezember 2001 eine Bank am Eidelstedter Platz mit Schusswaffengewalt überfallen zu haben. Eine Angestellte hatte ausgesagt, dass der Täter vielleicht Ausländer und Kunde gewesen sein könnte – eine Kombination, die auf Hüseyin E. zutrifft. Bei der Erstürmung seiner Wohnung durch das Mobile Einsatzkommando (MEK) wird E. erheblich verletzt, das Verfahren gegen ihn aber nur Tage später eingestellt. Selbst die Staatsanwaltschaft empfiehlt, Schadensersatzforderungen bei der Polizei geltend zu machen.
Einen doppelt gebrochenen Arm trug auch Yalcin Ö. im September vorigen Jahres davon, als er vor der Praxis seines Arztes in Billstedt von mehreren MEK-Zielfahndern in Zivil festgenommen wurde. Diese hatten ihn irrtümlich für einen gesuchten bewaffneten Totschläger gehalten. Auch hier bleibt nur die Zivilklage auf Schadensersatz, weil kein Beamter konkret für den Armbruch verantwortlich gemacht werden kann.
„Sonst kamen solche Fälle einmal im Jahr vor, jetzt innerhalb kurzer Zeit nehrmals. Und dann auch noch Kinder“, sagt Erdem. Anwaltskollegen würden mehrere ähnliche Fälle betreuen. „Das sorgt unter MigrantInnen derzeit für Angst“, weiß der 38-Jährige. „Das waren keine Ausrutscher“, ist er sich sicher: „Wären es Deutsche gewesen, wäre das nicht passiert.“
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