: Die Variante zum schwarzen Bildschirm
Als ob Alexander Kluges TV-Dialoge nicht schon absurd genug wären, setzt der nimmermüde Gesprächeführer noch eins drauf. Bei „Facts and Fakes“ ist gar nichts echt: Schauspieler Peter Berling macht so überzeugend den Emir, dass man sich wundert, warum der so gut Deutsch spricht (XXP, 23.30 Uhr)
von ALEXANDER KÜHN
Als sämtliche Erfolge und die großen Probleme von Sat.1 abgehandelt waren, kam das Gespräch auf Alexander Kluge. „Sein Programm ist ein Skandal“, schimpfte Senderchef Martin Hofmann vor den Journalisten, die mit ihm in Berlin-Mitte dinierten. „Ein schwarzer Bildschirm bringt höhere Einschaltquoten als seine Sendungen.“
Verständlich, dass der Geschäftsführer des Comedy- und Familiensenders sich über den 70-jährigen Filmemacher ärgert. Dessen legendäre Quotenkillergespräche verlaufen stets nach demselben Muster: Kluge, unsichtbar, spricht mit bedächtiger Stimme mit einem prominenten Zeitgenossen. Der ist immer in derselben Einstellung zu sehen, gezoomt wird nicht. „Interview“ oder „Talk“ kann man dieses Unterfangen nicht nennen. Denn Kluge stellt keine Fragen; er versucht, das Thema gemeinsam mit seinem Gegenüber einzukreisen – stellt lange Thesen auf, zu denen der andere oft nur noch eines sagen kann: Ja.
Weil Sat.1 und auch RTL einen Marktanteil von mehr als 10 Prozent haben, schreibt ihnen das Mediengesetz vor, dass sie auch investigativen Journalismus und kulturell Hochstehendes zeigen müssen – gefertigt von einem unabhängigen Anbieter. In diese Lücke sprang 1987 Alexander Kluge und gründete „Development Company for Television Program“ (DCTP). Die Firma produziert für Privatsender Formate wie Spiegel TV, Süddeutsche TV und Stern TV.
Im Mai 2001 verwirklichte der plauderfreudige Schöngeist seinen Traum vom eigenen Sender und gründete zusammen mit Spiegel TV in Berlin das Metropolenfernsehen XXP. Das Programm besteht großteils aus DCTP-Produktionen, die schon anderswo gelaufen sind. Das bei weitem bizarrste Format auf XXP ist „Facts & Fakes“, zu sehen am späten Freitagabend. Eine Sendung, die auf den ersten Blick ein Klugegespräch ist wie jedes andere. Doch Obacht: Wie so oft liegt auch hier das Subersive in der Wahrung der Form.
Heute strahlt XXP ein Gespräch mit Emir Ibn Dawud Al Gossarah aus, einem islamischen Fundamentalisten. Er regiert ein Oasenreich an der Grenze zu Afghanistan und offenbart Herrn Kluge seine Sicht der Dinge. Seine Ausführungen verwundern nicht, nur: Warum spricht der Emir akzentfrei Deutsch? Er muss Deutscher sein – er ist Deutscher. Warum ist er Emir? Und warum hat man über ihn noch nirgendwo was gelesen? Die Denkmaschine des Zuschauers hört nicht auf zu rattern.
Nicht umsonst heißt dieses Format „Facts & Fakes“. Steckt nicht in jedem Fact ein Fake? Und gleichsam ein Körnchen Fact in jedem Fake? Der Emir in dieser bereits vor dem 11. September produzierten Folge ist kein Emir, sondern Peter Berling, Schauspieler und Autor. In den 60ern hat er erstmals mit Kluge zusammengearbeitet, später auch mit Rainer Werner Fassbinder, Klaus Kinski und Werner Herzog. Berling, der mit seinem verquollenen Augen und dem Bart etwas an den reifen Bud Spencer erinnert, wohnt in Rom und wird immer nach München eingeflogen, wenn Kluge dort „Facts & Fakes“ dreht. Oft erklärt der Meister seinem Gesprächspartner erst kurz vor der Aufzeichnung, wer er diesmal zu sein hat. Zieht ihm ein Kostüm an, und los geht’s.
In einer weiteren Folge, die heute ausgestrahlt wird, spielt Berling den Fluglehrer von John F. Kennedy jr., der mit dem Flugzeug abgestürzt ist. Die beiden erörtern das Geschehen mit einem unglaublichen Ernst, den man eigentlich nur als klugesche Selbstverarschung deuten kann. Dass XXP bisher nur in Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Niedersachsen zu empfangen ist zwar ein großes Problem des Senders. Ein größeres ist allerdings, dass die meisten Zuschauer in Verkennung der klugeschen Kunstwelten Experimente wie „Facts & Fakes“ einfach nur sturzlangweilig finden. Denn am interessantesten ist diese Sendung in der Tat als theoretisches Phänomen.
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