: „Ich bin vorsichtig geworden“
Der Wirtschaftsweise Jürgen Kromphardt über die Wirkung von Konjunkturprognosen, die Bedeutung der Finanzwirtschaft, die Rolle der USA in der Weltwirtschaft und die rot-grüne Bilanz
Interview HANNES KOCH und BEATE WILLMS
taz: Herr Kromphardt, nehmen Sie Prognosen noch ernst?
Wie meinen Sie das?
Seit die Konjunktur lahmt, gibt es wöchentlich neue Vorhersagen über das Wirtschaftswachstum. Das DIW spricht von 0,6 Prozent, die Regierung von 0,75 Prozent, der Kanzler lobt die Dresdner Bank für ihre „mutigen 1,3 Prozent“. Welcher Prognose soll man glauben?
Es ist unübersichtlicher geworden. Früher gab es nur die Institute mit ihrem Gemeinschaftsgutachten und den Sachverständigenrat. Inzwischen gehen aber immer mehr private Institutionen mit Einschätzungen, die sie für den Hausgebrauch schon seit langem vorgenommen haben, nach draußen. Ich habe den Eindruck, dass es manchmal mehr darum geht, in den Medien wahr genommen zu werden, als richtig zu liegen. Das verführt manch einen Prognostiker zu waghalsigen Vorhersagen.
Wem könnte das nützen?
Man hofft, dass das Publikum über die Zahlen hinaus auch die politischen Einschätzungen und Empfehlungen zur Kenntnis nimmt. Die Öffentlichkeit ist aber vor allem an neuen Zahlen interessiert. Bei der Vorstellung unseres Gutachtens kommt die Frage nach der Wachstumsprognose immer zuerst.
Weil die Zahlen einen schnellen Überblick geben.
Das ist ein Trugschluss. Punktprognosen können nur zufällig genau eintreffen. Besonders, wenn eine Volkswirtschaft, wie jetzt die deutsche, vor einem Wendepunkt steht. Der könnte in diesem Jahr kommen, im dritten Quartal, im vierten. Oder erst nächstes Jahr. Eigentlich dürfte man nur einen Korridor vorhersagen und damit für das laufende Jahr keine 1,3 Prozent Wachstum, sondern eine Bandbreite von plusminus 0,7, also zwischen 0,6 und 2 Prozent. Wenn der Aufschwung einmal da ist, ist die Situation besser absehbar, da kann man die Bandbreite kleiner machen. Aber so etwas kommt beim Publikum nicht an.
Im vergangenen Jahr hätte der Korridor ziemlich breit sein müssen. Im Durchschnitt sagten alle 2,7 Prozent voraus. Real waren es dann 0,6 Prozent.
Für die weltweite Wirtschaft haben die Finanzmärkte an Bedeutung gewonnen, die sehr volatil sind, sich rasch auf- und abwärts bewegen. Und das schlägt dann durch auf die Realentwicklung, sodass diese auch unsicherer wird. Das wäre ein objektiver Grund, warum die Prognosen schlechter werden.
Damit sind wir wieder bei der Frage, ob Sie Vorhersagen überhaupt ernst nehmen.
Weil ich meine Entscheidungen und Empfehlungen auf die Prognosen gründen muss, bin ich vorsichtig geworden. Im Sachverständigenrat haben wir deshalb ein Alternativszenario für den Fall entworfen, dass der Aufschwung in den USA nicht kommt.
Wie ist die Lage im Moment?
Es gibt gute Argumente dafür, dass es wieder bergauf geht. Ich glaube, wie Alan Greenspan, dass der Motor in den USA wieder anspringt, weil die dortige Notenbank eine sehr expansive Geldpolitik betrieben hat. Hinzu kommt, dass George Bush zu Beginn seiner Amtszeit die Steuern deutlich gesenkt hat. Damals haben die Leute offenbar erst einmal abgewartet und mit dem Geld einen Teil ihrer Schulden abgetragen. Jetzt könnten sie aber wieder anfangen zu kaufen. Und wenn Bush ein Konjunkturprogramm auflegt und Milliarden US-Dollar zuätzlich für Militär ausgibt, ist das ebenfalls belebend für die Wirtschaft – auch wenn Letzteres vielleicht aus einem anderen Grund nicht wünschenswert ist.
Was heißt das für die Wirtschaft in Deutschland?
Wenn wir es schaffen, uns mit unserer Exportwirtschaft an die USA anzuhängen, können wir ebenfalls bald einen Aufschwung bekommen.
Und wenn der Aufschwung in den USA nicht ausreicht?
Eine alternative konjunkturelle Antriebskraft sehe ich nicht.
Woher kommt diese Abhängigkeit?
Es gibt Anzeichen, dass die Auswirkungen der US-Konjunktur uns nicht nur über unsere Exporte dorthin erreichen - denn die machen nur 10 Prozent unserer Gesamtausfuhr aus –, sondern auch über die Finanzmärkte. Denken Sie nur an die Firmen auf dem Neuen Markt, die sich über Börsengänge finanziert haben. Und von diesen Neugründungen kam ein großer Teil der wirtschaftlichen Dynamik. Diese Möglichkeit sich zu finanzieren ist nun weg.
Investionsprogramme, Zins- oder Steuersenkungen – weltweit wurden bei der Diskussion um die Weltwirtschaftskrise das ganze Instrumentarium der Konjunkturpolitik ausgepackt. Hierzulande ist daraus nichts geworden. Hat die Politik da eine Chance verpasst?
Was hätte die Bundesregierung tun können? Die Geldpolitik macht die Europäische Zentralbank, die Lohnpolitik findet unter den Tarifparteien statt. Fiskalpolitisch sind die europäischen Nationalregierungen beschränkt durch den Vertrag von Maastricht.
Trotzdem: Die Regierung wollte sich an der Zahl der Arbeitslosen messen lassen. Die wird nicht niedriger, wenn sie bei schlechter Konjunktur nicht eingreift.
Ich kann mir vorstellen, dass der politische Druck noch nicht groß genug ist. Wenn die Arbeitslosenzahlen nicht wieder runtergehen, kann ich mir nicht denken, dass die Bundesregierung weiterhin konjunkturell untätig bleibt, denn sie will wieder gewählt werden.
Muss der Finanzminister seine Versprechen an Brüssel dann nicht zurücknehmen?
Wenn man auf die Konjunktur Einfluss nehmen will, sollte man sich etwas überlegen, das zwar wirkt, aber nicht auf das aktuelle Defizit durchschlägt.
Die Konjunktur ankurbeln, ohne Geld auszugeben?
Ohne direkt viel Geld auszugeben: Ich schlage für diesen Fall ein kommunales Investitionsprogramm vor, das mit zinsverbilligten Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau finanziert werden könnte. Schon jetzt reduzieren die Gemeinden ihre Investitionen, weil die Gewerbesteuereinnahmen einbrechen und sie auch aus der Einkommenssteuer weniger bekommen. Das gefährdet zum Teil die Grundversorgung. Der Bund würde aktuell nur durch die Zinssubventionierung belastet.
Irgendwann müssen die Kredite doch auch zurückbezahlt werden?
Darüber muss sich dann eine andere Regierung den Kopf zerbrechen.
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