Die SPD zwischen Pest und Cholera

Gerhard Schröder und seine Partei haben die Niederlage in Magdeburg schon eingeplant

aus Berlin JENS KÖNIG

Es ist eine besondere Ironie in der Geschichte des deutsch-deutschen Missverständnisses: Der ostdeutsche Sozialdemokrat Reinhard Höppner wird dem westdeutschen Sozialdemokraten Gerhard Schröder an diesem Sonntag die Schlappe zufügen, die der damalige Ministerpräsident aus Niedersachsen schon vier Jahre früher befürchtet hat.

Höppner hatte damals, im April 1998, zum zweiten Mal hintereinander die Wahlen in Sachsen-Anhalt gewonnen – und war drauf und dran, zum zweiten Mal hintereinander eine Minderheitsregierung unter Tolerierung der PDS zu bilden. Schröder hatte damals, im März 1998, zum dritten Mal hintereinander die Wahlen in Niedersachsen gewonnen – und war drauf und dran, als Kanzlerkandidat der SPD Helmut Kohl aus dem Amt zu jagen. Schröder fürchtete eine neue Rote-Socken-Kampagne der Union und schickte seinen Wahlkampfchef Bodo Hombach nach Magdeburg, um diesem Mathematiker Höppner die Flausen mit der PDS auszutreiben.

Sieben Stunden redete Hombach mit Höppner, erst in einem Hotel, dann in Höppners Garten. Schließlich gab er auf. Hombach hatte begriffen, dass Politik im Osten ganz anders funktioniert als im Westen. Als er Magdeburg mitten in der Nacht verließ, zog ihn Höppners Frau beseite und erzählte ihm, er sei der erste Westpolitiker, der jemals in ihrem Garten gesessen habe. Kaum war Hombach nach Bonn zurückgekehrt, ließ der Druck der Bundes-SPD nach. Schröder ließ Höppner gewähren – und wurde fünf Monate später Kanzler.

Seit der Sache von damals glaubt der Kanzler, den Osten besser zu verstehen. Also hat er Höppner diesmal wieder machen lassen. „Das Klischee vom unbekannten Ostwähler hält sich hartnäckig“, sagt ein führender Mann aus der Kampa, der SPD-Wahlkampfzentrale. „Wir kennen den Ostwähler inzwischen ganz gut. Er ist einfach nur flexibel, um nicht zu sagen unberechenbar.“ So unberechenbar, dass die Wahl in Sachsen-Anhalt, der letzte große Stimmungstest vor der Bundestagswahl im Herbst, für die SPD ein Desaster wird.

Höppner, das steht für die Strategen in der Kampa fest, wird am Sonntag der Verlierer des Abends sein. In einigen Umfragen liegt nicht nur die CDU, sondern auch schon die PDS vor der SPD. Jetzt heißt es bei den Sozialdemokraten plötzlich, ein realistisches Ziel sei es, in Magdeburg wenigstens in der Regierung zu bleiben. Da sich eine rot-rote Koalition unter Führung der PDS für die Sozialdemokraten von selbst verbietet, bedeutet das notfalls also eine große Koalition unter einem CDU-Ministerpräsidenten.

Natürlich fürchtet sich die SPD in Berlin vor einer großen Koalition in Sachsen-Anhalt. Rot-Grün verliert damit die Mehrheit im Bundesrat. Außerdem macht eine solche Kooperation mit der CDU einen Lagerwahlkampf gegen Edmund Stoiber nicht gerade einfacher. Aber die realistischste Variante neben einer großen Koalition ist momentan eine Regierung aus CDU, FDP und Schill-Partei. „Wir sind zwischen Pest und Cholera“, sagt einer aus der Kampa.

In der Bundespartei wird schon an der Argumentation für die Niederlage gebastelt und über Konsequenzen für die Bundestagswahl nachgedacht. Die Linie ist klar: Mit dem Kanzler und der Bundestagswahl hat Sachsen-Anhalt nichts zu tun. Schröder steht über allem – über der schlechten Lage und über der schlechten Stimmung. Die Strategen sehen das in den Umfragen auch bestätigt. Der Kanzler liegt in jeder direkten Konfrontation klar vor Stoiber. Eine Zahl der letzten Forsa-Umfrage ist in der SPD mit besonderer Freude zur Kenntnis genommen worden: In Ostdeutschland würden nur 18 Prozent Stoiber wählen.

Intern wird allein Höppner für die Niederlage verantwortlich gemacht. Aber nicht, weil sich seine Regierung jahrelang von der PDS tolerieren ließ. Höppner habe nicht vermocht, seine Rolle zu wechseln, heißt es. Er habe es nicht geschafft, wie beispielsweise Manfred Stolpe in Brandenburg, vom Moderator der Umbruchszeit zum respektierten Landesvater zu werden. „Der Reinhard ist nun mal kein Volkstribun“, hat Schröder auf einer Wahlkampfveranstaltung über Höppner gesagt, „aber er kennt den Osten.“ Wer weiß, wie der Kanzler gestrickt ist, ahnt, dass er mit diesem Lob für den Ministerpräsidenten zugleich dessen Hauptproblem bloßlegen wollte: Höppner ist nun mal nicht Schröder. Das könnte diesmal beiden zum Verhängnis werden.