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„Zur Hölle mit der Objektivität“

Im staatlichen PR-Zentrum in Jerusalem werden ausländische Journalisten freundlich in ihrer Landessprache begrüßt und mit Propagandamaterial zugeschüttet. An Orte, von denen es wirklich etwas zu berichten gibt, dürfen Presseleute gar nicht erst

„Wir können den Medienkrieg in Bethlehem nur verlieren“

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

„Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis der Terror ein Ende hat?“, steht über einer riesigen Bildtafel mit den Fotos der bislang 470 israelischen Terroropfer. Um die ständig drohende Gefahr noch anschaulicher zu machen, sind unmittelbar unter der Tafel Fundstücke aus den ausgehobenen palästinensischen Waffenlagern ausgestellt. Maschinengewehre, Abschussrampen für Mörsergranaten, Raketenwerfer – „made in Irak“.

Seit Anfang des Monats belegen Außenministeriums- und Militärsprecher einen kompletten Seitenflügel der Nationalhallen in Jerusalem. Die ungewöhnlich hilfsbereiten PR-Leute in Zivil und Uniform nehmen jeden ausländischen Journalisten, der das Medienzentrum betritt, freundlich in Empfang und verweisen ihn je nach seiner Herkunft an ihre englisch, deutsch, italienisch oder russisch sprechenden Mitarbeiter.

Auf dem Weg in das entsprechende Büro wird er mit diversen Videofilmen über Terroranschläge und palästinensische Widerstandsorganisationen beladen, Friedensverträgen, israelischen Landkarten und Mitschriften von Pressekonferenzen. Wer mag, kann sich die berühmte Rede der „Schahidin“, der Märtyrer, von Palästinenserführer Jassir Arafat mit nach Hause nehmen – auch gerne in mehrsprachiger Übersetzung.

Der Staat lässt es sich etwas kosten, wenn es darum geht, das angeschlagene internationale Image zu reparieren. Dass die palästinensische Medienkampagne über die seit drei Wochen andauernde Militäroffensive in den Autonomiegebieten sehr viel erfolgreicher ist, macht die frisch rekrutierten Militärsprecher zwar nicht glücklich, sie sind aber auch nicht hoffnungslos. „Ihr Sieg ist temporär, denn sie verbreiten nur Lügen“, sagt Hauptmann Ron Edelheit, der im zivilen Leben Touristen das Land zeigt. „Wir müssen nur erst unsere Untersuchungen beenden, dann wird die Wahrheit siegen.“

Um einer kleinen Gruppe von Journalisten einen Vorgeschmack davon zu geben, organisiert er einen nächtlichen Ausflug an die grüne Grenze nahe dem bis vor kurzem besetzten Kalkilia. Erst jetzt ist Pressevertretern der Zugang zur Stadt wieder erlaubt. Über Wochen war das neu besetzte Autonomiegebiet zur „geschlossenen Militärzone“ erklärt worden.

Eine blonde 30-jährige Psychologin ist das Objekt der PR-Begierden. An ihr soll das „andere Israel“ demonstriert werden. „Ich will meinen Teil dazu tun, die israelischen Bürger zu beschützen“, erklärt sie in fließendem Englisch. Ihr freiwilliger Dienst an der Waffe habe nichts mit Politik zu tun. Sollte es tatsächlich einmal ernst werden und ein Terrorist versuche sich den Weg zu bahnen, sei es doch besser, „ich sterbe – und nicht 20 unschuldige Menschen in Tel Aviv“. Mit Euphorie berichtet sie über ihre männlichen Kameraden, die den Palästinensern gegenüber so „hilfsbereit“ seien und im Zweifelsfall sogar ihren eigenen Proviant mit den Bedürftigen teilten. „Ich bedanke mich jedes Mal, wenn ich eine palästinensische Frau nach Waffen durchsucht habe.“ Ein spanischer Fernsehkorrespondent fühlt sich ob der Propagandatour an den Irak erinnert, als „Saddam Hussein uns durch die Krankenhäuser führte“.

Premierminister Ariel Scharon gibt sich ungehemmt frustriert angesichts der ergebnislosen Mühen seines Propagandaapparates. Er wettert gegen die internationalen Medien, die sich zum Instrument der palästinensischen Propaganda machen ließen, wenn von „Massakern“ und Vergleichen mit dem Massenmord in Sabra und Schatilla die Rede ist.

Gleichzeitig hindert Scharon die Journalisten daran, sich ein eigenes Bild zu machen. Das Zentrum Ramallahs und die Region um die Geburtskirche in Bethlehem bleiben für die Presse weiterhin gesperrt. „Wir können den Medienkrieg in Bethlehem nur verlieren“, gibt ein Reservist im Medienzentrum zu. „Es sieht nicht gut aus in den Augen der Öffentlichkeit, wenn jüdische Soldaten arabische Priester und Nonnen mit vorgehaltenem Gewehr aus der Kirche führen.“

Eindeutig regierungstreu sind immerhin die israelischen Medien, in denen bis zu Beginn der Militäroperation in Ansätzen eine Debatte über das Für und Wider von Besatzung und Vergeltungsschlägen stattfand. Inzwischen jedoch berichtete sogar die liberale Tageszeitung Ha’aretz tagelang von „200 bewaffneten Tansim-Kämpfern“, die sich in der Geburtskirche verbarrikadiert haben sollen. Die Armee gab unterdessen zu, dass es vermutlich nur 45 Kämpfer sind. Alle anderen sind Zivilisten und Angehörige verschiedener Kirchen.

Die zig Nachrichten, die täglich per E-Mail verbreitet werden, vom palästinensischen Roten Halbmond, vom Informationsministerium, vom Medienzentrum, von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Initiativen – sie scheinen bei den israelischen Medien auf wenig Interesse zu stoßen. Manche israelischen Journalisten geben gar offen zu, jetzt nicht mehr objektiv berichten zu wollen – sondern unbeirrt israelfreundlich. „Zur Hölle mit der Objektivität – dies ist ein Krieg“, bringt Medienforscher Dr. Daniel Dor vom Institut für Kommunikation an der Tel Aviver Universität die zunehmende Tendenz in der Presse auf den Punkt.

„Es ist doch besser, wenn ich sterbe – und nicht 20 unschuldige Menschen in Tel Aviv“

Hadass Steif, die seit zehn Jahren für den landesweit populären Militärsender Galey Zahal („Wellen der israelischen Verteidigungsarmee“) berichtet, gibt zu, dass es konkrete Anweisungen gibt, die palästinensische Seite „weniger zu Gehör zu bringen“. Kein Geringerer als Premierminister Ariel Scharon hatte den Reporter des Militärsenders im Rahmen einer Pressekonferenz mit US-Vizepräsident Dick Cheney scharf darauf hingewiesen, dass er gerade von seiner Station eine „der Armee positiv gesonnene Berichterstattung“ erwarte, nachdem dieser es gewagt hatte, den Sinn der jüngsten Offensive in Frage zu stellen. Es finden zwar Hintergrundgespräche statt, sagt Hadass – Wortlautinterviews etwa mit dem Sicherheitschef im Westjordanland Jibril Rajoub oder anderen moderaten Palästinensern dürften indes nicht ausgestrahlt werden. Ein Mitarbeiter des israelischen Fernsehens empfahl, CNN und BBC einzuschalten, wenn jemand an ausgewogener Berichterstattung interessiert sein sollte.

Wer sich auf die israelischen Tageszeitungen beschränkt, so resümiert Medienforscher Dor die Ergebnisse einer detaillierten Fallstudie über die seit Oktober letzten Jahres andauernde Intifada, „weiß schlicht nichts über die endlose, komplizierte kausale Kette, die von Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg zum Einstieg der israelischen Öffentlichkeit in ein verzweifeltes, angespanntes, furchtvolles und fatalistisches Warten auf einen umfassenden Krieg führte“.

Dor schreibt über eine „massive Propagandamaschine“, die schon im ersten Monat der Intifada „Angst, Zorn und Ignoranz“ schürte. Zwar könnten die wenigen Leser, die sich die Zeit auch für die „kleinen Buchstaben“ in der israelischen Presse nehmen, ein „angemessenes Bild über das, was tatsächlich passiert, gewinnen“, die Titelseiten und Schlagzeilen zeichneten hingegen ein „eindimensionales Bild und ignorieren demonstrativ die Informationen, die die eigenen Reporter vor Ort einbringen“.

Daniel Dor räumt ein, dass die „Reflektierung der kollektiven Identität eine der wichtigsten Aufgaben der Zeitungen in einem modernen Staat“ sei, dennoch müsse davon die Berichterstattung schlichter Fakten verschont bleiben. Den Preis für das einseitige und unvollkommene Bild in den Medien werde letztendlich die israelische Öffentlichkeit bezahlen, die sich in ein paar Jahren fragen wird: „Wie konnten wir davon nichts gewusst haben?“

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