: Begrenzte Allianz für Kranke
Attac und Ver.di-Gewerkschafter warnen gemeinsam: Nach der Wahl im Herbst müssen die Patienten draufzahlen, egal wer gewinnt. Privatkassen abschaffen wollen aber nur die Globalisierungskritiker
aus Heidelberg ULRIKE WINKELMANN
„Wenn wir den Satz ‚Privatisierung ist scheiße‘ in die Köpfe kriegen, werden wir die Debatte um die Gesundheitsreform nach der Wahl auf ganz anderer Grundlage führen können.“ So weit die Planung. Werner Rätz von Attac Deutschland versuchte auf dem Abschlussplenum der Konferenz „Gesundheit ist keine Ware“ in Heidelberg noch einmal, die über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Vision auszurüsten.
Denn der rote Faden war der Veranstaltung bis dahin schon ein paar Mal abhanden gekommen. Was beim Thema Gesundheit allerdings auch leicht passiert – dies dürfte langsam auch den Mitgliedern des globalisierungskritischen Netzwerks Attac dämmern. War man doch bisher auf das Thema globale Umverteilung spezialisiert und hatte dazu den Argumentationshorizont einer weltweiten Bewegung. Aber nun haben sie es sich ausgesucht, nun haben sie sich mit den Gewerkschaften zusammengetan und beschlossen, im Wahljahr den Schwerpunkt Gesundheit zu setzen, nun müssen sie auch dabei bleiben.
Die „Aktionskonferenz“ am Wochenende in Heidelberg war eine Bündnisveranstaltung: Neben Attac diskutierten die EntwicklungshilfeoOrganisation Medico international und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit: Welche Folgen hat die Privatisierung der Krankenhäuser? Was können wir aus der Entwicklungspolitik lernen? Welche Arbeitsbedingungen machen uns krank? Wie weit reicht die Macht der Pharmaindustrie? Und: Was kommt alles davon in die Abschlusserklärung? Schließlich sollte ein Papier verabschiedet werden, das als „Heidelberger Erklärung“ in die Annalen der Weltgesundheitspolitik eingehen sollte. Mindestens.
„Gesundheit darf nicht vom Geldbeutel abhängen“: Das dürfte der einzige Satz darin sein, der nicht umstritten war. Weitere zentrale Aussagen: „Gesundheitsversorgung für alle bedeutet, PatientInnen wie Versicherte nicht Marktkräften zu überlassen.“ Das Prinzip der Solidarität von Arm und Reich, Gesund und Krank, das in Deutschland die gesetzliche Krankenversicherung strukturiert, „soll amputiert werden, die Kranken den Konkurrenzmärkten und privater Beutelschneiderei überlassen, die Grenzen für globale Gesundheitsvermarkter eingerissen werden“.
Das reichte vielen nicht: Als „Lyrik“ bezeichnete Sybille Stamm, Chefin von Ver.di Baden-Württemberg, den Text. „Kein Pfeffer“, sagte auch ein Bremer Krankenpfleger: Ohne konkreten Bezug auf die bundesdeutsche Reformdebatte sei das Papier nicht viel wert, meinten vor allem Krankenhaus-Personalrätinnen, Sprecher von Erwerbsloseninitiativen und auch der eine oder andere Arzt.
So viel Allgemeinheit war vermutlich wirklich nicht nötig. Denn schließlich teilen Ver.di und Attac die Meinung, dass die Versprechen der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nichts wert seien: Egal, ob die SPD oder die CDU gewinn, in den Koalitionsverhandlungen ab dem 22. September wird versucht werden, die Patienten mit größeren Zusatzzahlungen zu belasten, so die Prophezeiung. „Die Privatisierung, die wir mit der Rente erlebt haben, wird sich im Gesundheitswesen wiederholen“, sagte Attac-Sprecher Felix Kolb.
Attac fordert daher, die Einnahmen der gesetzlichen Kassen zu erhöhen: erstens Einbeziehung anderer Einkommensarten – also etwa Miet- und Zinseinkünfte – in die Beitragsberechnung, zweitens Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze, mit der die Beiträge der Gutverdienenden gedeckelt werden; drittens Abschaffung der Versicherungspflichtgrenze, ab der Gutverdiener sich in die private Versicherung verdrücken können.
Im Effekt läuft das auf die Abschaffung der privaten Krankenversicherung hinaus – „und dazu stehen wir auch“, erklärte Kolb. Ver.di aber nicht: „Wir vertreten schließlich auch die Interessen der Mitarbeiter in den Privatversicherungen“, gestand Stamm. Wie weit die Kooperation von Netzwerk und Gewerkschaft also überhaupt funktionieren kann, darüber wurde am Wochenende gar nicht diskutiert.
Stattdessen nahmen die Verdianer diesen oder jenen Attac-Vertreter gerne einmal beiseite, um wichtige Informationen und eindringliche Politikempfehlungen abzusetzen. Das könnte noch ganz schön schwierig werden, im gern zitierten „Haifischbecken“ der Gesundheitspolitik frei schwimmen zu lernen.
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