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Wahlmüdes Land

In Sachsen-Anhalt gingen nur 56 Prozent zur Wahl. Das liegt nur knapp über dem Rekordtief von 1994 – und spiegelt den Trend im Osten wieder

BERLIN taz ■ In Sachsen-Anhalt haben gestern nur 56 Prozent der Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Damit bleibt Sachsen-Anhalt weiter im Negativtrend in puncto Wahlbeteiligung in Deutschland.

Die Zahlen sind um rund 15 Prozent eingebrochen. Bei der Landtagswahl 1998 hatten noch 71,5 Prozent ihre Stimme abgegeben. Die gestrige Wahlbeteiligung liegt nur knapp über dem absoluten Tiefpunkt von 1994: Damals hatten 54,8 Prozent gewählt. Das waren weniger als je zuvor bei Landtagswahlen in Deutschland seit Kriegsende. Der tiefste Wert in den alten Ländern, so wie sie heute existieren, lag bei 59 Prozent – 1960 in Baden-Württemberg.

Es ist erfahrungsgemäß immer schwer, Menschen zur Landtagswahl zu bewegen. Dieter Roth, Leiter der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, beobachtet einen „alarmierenden Einbruch der Wahlbeteiligung auf unterer Ebene“. Als sicheren Weg zu einer regeren Wahlbeteiligung empfehlen Meinungsforscher die Zusammenlegung mit einer Bundestagswahl.

In Sachsen-Anhalt hat man aber aus einem anderen Grund mit der niedrigen Wahlbeteiligung gerechnet: Bei der Landtagswahl 1998 waren viele junge Menschen zur Wahl gegangen – und hatten aus Protest die DVU gewählt. Die rechtsextreme Partei hatte sich jedoch bei der Parlamentsarbeit als unfähig erwiesen und sich in der Folge gespalten. Parteienforscher Everhard Holtmann von der Martin-Luther-Uni Halle-Wittenberg hatte prophezeit, dass viele Protestwähler zu Nichtwählern würden. „Desillusionierung“ führte er als einen der Gründe dafür an.

Sachsen-Anhalt spiegelt wieder, was die meisten Bürger in den neuen Ländern bewegt. Bereits bei der letzten Bundestagswahl 1998 blieben viele von ihnen zu Hause. Betrachtet man eine Karte, in der hohe Wahlbeteiligung dunkelrot eingezeichnet ist und niedrige blassgelb, leuchtet einem der Osten hellrot entgegen. Wahlstatistiken belegen, dass die Beteiligung an Wahlen mit dem Alter zunimmt. Die Motive der Nichtwähler reichen von Verdruss bis Desinteresse. Mehreren Parteienforschern zufolge fehlt ihnen Vertrauen in die Parteien. Viele im Osten sind Wechselwähler, viele sind unzufrieden. „Die Menschen sind ungeduldig damit, dass die wirtschaftliche Situation nicht schneller vorangeht, und setzen zu hohe Erwartungen in die Politik“, vermutet Holtmann. Außerdem gebe es nicht, so wie im Westen, die traditionelle Gebundenheit an eine Partei, sagt der Parteienforscher. NICOLE JANZ

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