: Inseln in der Schwärze
Die Ausstellung „+64“ im Künstlerhaus Bethanien zeigt Kunst aus Neuseeland. Die Assoziationen verlaufen vom Vorgarten in die Zimmerdecke zum Glasauge bis an die Schnittstelle von biografischer Zeit und globalem Raum
Überschattet von dem Gezerre um die spärlichen Mittel, die der Berliner Senat der freien Kunstszene noch zubilligen will, zeigt das Künstlerhaus Bethanien derzeit eine Sammelausstellung acht neuseeländischer Künstlerinnen und Künstler. Die gemeinsame Herkunft wird durch den Titel “+64“, den telefonischen Landescode für Neuseeland, jedoch nur angedeutet um als thematisches Bindeglied auch gleich wieder zurückzutreten.
Die Kuratoren Louise Garrett und David Hatcher präsentieren Arbeiten, die an so unterschiedlichen Orten entstanden wie Los Angeles, London, Düsseldorf und Beijing. Anstatt den Suchbegriff einer nationalen Identität zu aktivieren, zeigt die Ausstellung vor allem die Ambivalenzen der künstlerischen Behauptung auf Authentizität im Rahmen eines netzwerkartigen globalen Kunstmarkts.
Die Präsentation organisiert sich von der Mitte des Raumes aus, wo Francis Upritchards Installation „Save Yourself“ zunächst an einen Tatort erinnert. Mehrere Keramikkaraffen gruppieren sich um eine mumienhafte Figur von der Größe eines Kindes. Folgt man dem Kabel, das von der Zimmerdecke kommend in der Mumie verschwindet, findet man sich auf den Knien wieder. Erst jetzt bemerkt man an dem starren Arrangement ein kaum wahrnehmbares, aber unablässiges Zittern, eine künstliche Belebung der vermeintlich toten Form. „Buh!“ macht die Mumie zwar nicht, aber man sieht sich beobachtet vom Blick eines Glasauges.
Vom Betrachter zum Betrachteten geworden, flüchtet man sich wieder in die aufrechte Haltung als Ausdruck der eigenen Lebendigkeit. Die Komplexität dieser Interpretationsdynamik wird ironisiert durch die tierköpfigen Verschlüsse der Karaffen, die Farbe und Textur der Behältnisse ebenso nachlässig imitieren, wie die Mumie die Anatomie einer Leiche nur andeutet. Indem sich der „Tatort“ dem zweiten Blick nun als antike Grabstätte zeigt, bekommt die Kunstschau den Ruch einer Schändung. Derart ins Visier genommen nähert man sich den übrigen Arbeiten mit erhöhter Sensibilität. Auch die Fotografien von Vanessa Jack spielen mit der Dynamik zwischen erstem und zweitem Hinsehen. Ihre Arbeiten zeigen von einem leicht erhöhten Blickpunkt aus beobachtete Alltagsszenen: Frauen nehmen Wäsche von der Leine, Männer mähen einen Vorgarten.
Was aber zunächst als eine Gruppe stereotyper, merkwürdig identischer Menschen erscheint, enthüllt sich dem zweiten Blick als die immer gleiche Person in aufeinanderfolgenden Momenten. Der Bildrahmen funktioniert jetzt als Szene, weil der Ort als statischer Hintergrund eine konstante Referenz bietet für die Bewegung der Figur. Folgt man dieser Bewegung nun gleichsam filmisch, so wird die Chronologie jedoch gerade konterkarriert durch die Unveränderlichkeit des Ortes: Die Wäsche, die die Frau „schließlich“ rechts aus dem Bild trägt, dürfte ja links nicht mehr hängen. Oder noch nicht?
Um das Verhältnis von Ort und Eigenzeit geht es auch in der Serie „Lebensführer“ von Lucy Harvey, die sich der ausgetretenen Thematik der „Selbstfindung“ mit Ironie nähert. Auf einem Video folgt die Kamera einem Finger entlang der Linien eines privaten häuslichen Umfelds, über die Ritzen der Fußbodendielen, das Regal hoch, entlang der Buchrücken und anderer momenthaft auftauchender, scheinbar identitätsstiftender Gegenstände. Die hier assoziierte Geste, die ebenso ein Terrain zu markieren scheint, wie sie eine Zielfindung suggeriert, wird von der Arbeit „Die mir bekannte Welt“ aufgegriffen.
Diese hat Harvey auf gewöhnlichen Landkarten dargestellt als ein scheinbar sinnstiftendes Netz aus sichtbaren Linien und Flecken, Inseln inmitten der Schwärze des unbereisten Rests. Zwei konträre Bewegungen treffen sich hier: Die sichtbaren Spuren der Überschneidung von globalem Raum und biografischer Zeit sind dem Dunkel des Unbekannten abgetrotzt.
Gleichzeitig zieht sich die Schwärze beklemmend um dieses filigrane Netz aus Anwesenheiten zusammen. Dass Berlin bei „+64“ zur kurzzeitigen Schnittstelle sehr eigenwilliger Künstlerbiografien wird, verdankt sich wohl auch der Attraktivität, die sich die Stadt aus der Nachwendezeit erhalten konnte.
Angesichts der jüngsten Hiobsbotschaften für Institutionen wie das Künstlerhaus Bethanien und das Podewil wird man die Ausstellung vielleicht mit dem unguten Gefühl verlassen, dass solch glückliche Synergien demnächst seltener werden – Berlin gewissermaßen von der Schwärze geschluckt wird, weil die Biografien internationaler Künstler anderswo ihre Spuren hinterlassen. TOBIAS HERING
Bis 5.5., Mi-So 14-19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Studio II, Mariannenplatz 2, Kreuzberg
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