: Was Le Pen wirklich will
Der Multimillionär setzt auf Liberalisierung und Protektionismus gleichzeitig. Und gewinnt so Reiche und Arme
aus Paris DOROTHEA HAHN
Der Hähnchenbrater war einer der ganz wenigen, die es wahrhaben wollten. „Wir Franzosen lieben die Überraschungen. Dieses Mal wird es ein Duell zwischen Le Pen und Chirac geben“, so prophezeite er. Der Hähnchenbrater redet täglich mit Dutzenden von Leuten. Und als Kleingewerbetreibender gehört er soziologisch zu jener Gruppe von Franzosen, die neben den Arbeitern und den Pieds Noirs, den Spätheimkehrern aus Algerien, massiv für Le Pen gestimmt haben. Aber über Wahlentscheidungen spricht man in Frankreich nicht. Erst recht nicht, wenn der eigene Kandidat ein Rechtsextremer ist.
Und so lagen Politiker, Meinungsforscher, Journalisten und Politologen bei der Einschätzung von Le Pen total daneben. Für sie hatte seine Front National ihren Höhepunkt „längst überschritten“. Für sie war es „unmöglich“, dass der er die 14,4 Prozent, die er bei der Wahl 1995 holte, übertreffen könnte.
Dieses Mal haben 4,7 Millionen Franzosen für den 73-Jährigen gestimmt. Wenn man jene 2 Prozent hinzuzählt, die für Le Pens Konkurrenten und ehemaligen Parteivize, Bruno Mégret, votierten, kommt man auf die reale Wahlstärke der Rechtsextremen in Frankreich: 19,19 Prozent. In 7 der 22 französischen Regionen hat Le Pen in diesem erstem Wahlgang der Präsidentschaftswahlen die Mehrheit. Der komplette Osten des Landes – von der Grenze zu Belgien über die zu Luxemburg, Deutschland, der Schweiz bis zur italienischen – wählte rechtsextrem. Der Süden rund um Marseille ebenfalls. So stark wie die Front National heute ist, war in der französischen Geschichte noch keine rechtsextreme Bewegung. Auch nicht jene, die am 6. Februar 1934 einen Putschversuch machte, der nur knapp misslang.
Der Aufstieg von Le Pen begann parallel zum Amtsantritt des sozialistischen Staatspräsidenten Mitterrand im Jahr 1981. Seither ist der Rechsextremist, neben dem sich der Österreicher Haider, der Italiener Fini und der Deutsche Schill wie Waisenkinder ausnehmen, ununterbrochen eine Konstante der französischen Politik geblieben.
Vor allem trug le Pens Politik zur Enttabuisierung von Fremdenhass und Rechtsextremismus bei. In dem Land, wo Rassimus ein im Strafgesetzbuch definiertes Delikt und keine Meinung ist, fühlen sich immer mehr hellhäutige Franzosen ermuntert, ihre dunkelhäutigen Landsleute zu diskriminieren. In seinem Schatten entstanden zwar Gegenorganisationen wie SOS-Racisme, sie konnten mit ihren Demonstrationen der Aufstieg des Rechtsextremen freilich nicht bremsen.
Le Pen, der gezielt die „kleinen Leute“ anspricht und der damit wirbt, dass er hart in Minen gearbeitet habe, um sich sein Studium zu erwirtschaften, ist selbst Multimillionär. Die Spitze seiner Partei gehört zur großen Bourgeoisie. Sein Programm ist ultraliberal. Auch wenn er sich selbst – in Anlehnung an andere Rechtsextreme und Nazis – so beschreibt: „sozial links, wirtschaftlich rechts und national französisch“.
Gesellschaftspolitisch will Le Pen das Recht auf Abtreibung und die eben erst eingeführte Ersatzehe Pacs, von der vor allem Homosexuelle Gebrauch machen, abschaffen. Er will die Einkommenssteuer, die nur die wohlhabende Hälfte der Franzosen bezahlt, progressiv reduzieren. Die Renten im öffentlichen Dienst sollen gesenkt und das Rentensystem privatisiert werden. Auf dem Arbeitsmarkt propagiert Le Pen die „nationale Präferenz“, die Senkung von Arbeitgebersteuern und Sozialabgaben und die Abschaffung der 35-Stunden-Woche. Die nationale Produktion will er mit gezielten Einfuhrzöllen fördern.
Seine Außenpolitik ist vor allem chauvinistisch. Le Pen fordert die Abschaffung des Euro und den Ausstieg aus sämtlichen EU-Verträgen. Le Pens größter Joker in diesen Präsidentschaftswahlen ist jedoch die innere Sicherheit. Da der Präsident dieses Thema in den Mittelpunkt seiner Kampagne stellte und auch der Sozialdemokrat Jospin darauf einstieg, brauchte Le Pen bloß abzuwarten, dass die Wähler ihm zulaufen. Denn er „bietet“ die härtesten Maßnahmen: die Wiedereinführung der Todesstrafe und die Abschiebung von Kindern, deren eingewanderte Eltern straffällig geworden sind. Le Pens wichtigstes politisches Ziel ist jedoch die Zerstörung der klassischen Rechten sowie die Abschaffung der V. Republik.
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