: Wachsen, bis die Heide wackelt
■ Für Finanzsenator Perschau ist Bremen eine „Stabilitätsinsel in Norddeutschland“, die grüne Opposition sowie Ökonomen werfen ihm Schönfärberei und Jubelarien vor
„Wir haben die Sanierungsziele samt und sonders erreicht“ / „Bremen ist zur Stabilitätsinsel in Norddeutschland geworden“ – Finanzsenator Hartmut Perschau (CDU) überschüttete sich bei der Vorstellung des Jahresberichts des Finanz-Controllings mit Lob. Experten aus Opposition und Wissenschaft sehen die wirtschaftliche Entwicklung Bremens indes in einem ganz anderen Licht: Grüne wie Wirtschaftsforscher werfen Perschau Schönfärberei und Jubelarien vor.
Bremen boomt – dank der Sanierungspolitik der Koalition, betont hingegen Perschau: Mehr Steuern zahlende Einwohner (erstmals seit einem Jahr in der Stadt Bremen wieder über 540.000), mehr Erwerbstätige (plus 1.700), die höchste Investitionsquote seit 20 Jahren. Der Herr der Bremer Haushalte: „Inzwischen gibt es kein Bundesland, das positiver vom Durchschnitt abweicht als Bremen.“
„Bei den Zahlen lohnt es sich, ganz genau hinzusehen“, sagte indes der grüne Finanzexperte Dieter Mützelburg. „Er kann nur jubeln, weil der Bundesdurchschnitt so schlecht ist – nicht, weil die Bremer Zahlen so gut sind.“ In den 90er Jahren habe das Bremische Wachstum im Durchschnitt bei rund zwei Prozent gelegen, 2001 nur noch bei einem Prozent (Deutschland: plus 0,6).
Sein Hauptziel habe der Finanzsenator dagegen „nicht erreicht“, sagte Mützelburg: Sparen, sparen, sparen. Die Steuereinnahmen lagen im vergangenen Jahr 127 Millionen Euro unter dem Soll. Mützelburg: „Da wird Schuldenmachen fast zur Ehrensache.“
Auch der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sieht „große Haushaltslöcher“. Zwar gebe es tatsächlich „erste Erfolge“ bei der Sanierung der Bremer Kassen. Aber: „Das ist überhaupt kein Anlass zur Euphorie – die Stunde der Wahrheit kommt im Jahr 2005, wenn die Transfers des Bundes ausbleiben“, betont Hickel. Das „Haushaltsnotlage“-Land Bremen bekommt derzeit noch Hilfszahlungen anderer Länder, muss aber bis 2005 seine Finanzen saniert haben.
Bis dahin dürfte noch viel gerechnet werden. Es sei „mehr als fraglich, ob der Bund wie per Kanzlerbrief versprochen Mindereinnahmen ausgleicht“, sagte Hickel. Da sei es „unseriös“, im Stichjahr 2005 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu wollen, wie Perschau versprochen hatte. Diese Rechnung ginge nur bei Einsparungen und einem Wachstum auf, „dass die Heide wackelt“, findet Ökonom Hickel.
Dieter Mützelburg spricht gar von „Traumtänzerei“. Die Perschau-Prognosen seien nichts als „ein frommer Wunsch, völlig realitätsfremd“, moniert der Grüne. So werde die Liste der Ressorts, die ihre Sparvorgaben nicht einhalten können, immer länger. Mützelburg: „Die Finanzplanung für die Bereiche Bildung, Arbeit, Inneres, Kultur, Sport und Justiz reicht hinten und vorne nicht – das weiß auch Finanzsenator Perschau.“
Viele der Zahlen seien schlicht „geschönt“, kritisiert die Opposition weiter. Beispiel Arbeitslose: Im vergangenen Jahr habe sich die Quote um 0,6 auf 13,6 Prozent gesenkt – in Gesamtdeutschland habe sich die Quote hingegen nur um 0,4 verringert, freut sich der Controlling-Bericht. Bei den Investitionen dagegen werde nur mit den westdeutschen Ländern verglichen. Mützelburg findet das unzulässig: Bei den Jobs ziehe Perschau als Vergleich den besonders belasteten Osten hinzu, um das Minus in Bremen besonders hoch darzustellen. Bei den Investitionen werde der Osten, wo besonders viel öffentliche Mittel in Infrastruktur und Wirtschaftsförderung fließen, herausgerechnet – um Bremens Investitionen als besonders gigantisch erscheinen zu lassen. Mützelburg: „So zimmert sich Senator Perschau seine Erfolgsbilanz.“
Kai Schöneberg
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