: Frist in Belgrad abgelaufen
Mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher, die sich nicht freiwillig gestellt haben, sollen an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert werden. Karadžić veröffentlicht eine Komödie
BELGRAD taz ■ Die von der serbischen Regierung gestellte Frist für gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher ist am Montag um Mitternacht abgelaufen. Wer sich bis dahin nicht freiwillig gestellt hat, soll in den nächsten Tagen verhaftet und an das Tribunal in Den Haag ausgeliefert werden.
Die jugoslawische Regierung hatte den 23 mutmaßlichen Kriegsverbrechern am vergangenen Mittwoch eine Frist von drei Tagen gesetzt, sich zu stellen. Das Ultimatum war später verlängert worden. Kooperativ zeigte sich bisher der ehemalige jugoslawische Generalstabschef, Dragoljub Ojdanić. Seinem Beispiel folgten drei weitere Offiziere, die wegen der Zerstörung beziehungsweise Beschießung der kroatischen Städte Vukovar und Dubrovnik gesucht werden sowie der frühere Anführer der Serben in Kroatien, Milan Martić, dem die Beschießung von Zagreb vorgeworfen wird. Als Gegenleistung für die Zusammenarbeit der Angeklagten mit dem Tribunal verpflichtete sich die serbische Regierung, ihnen rechtliche Unterstützung zu bieten und Garantien abzugeben, damit sie sich in Freiheit verteidigen können.
Den früheren Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, und den Kommandanten der bosnisch-serbischen Streitkräfte, Ratko Mladić, könnten und wollten jedoch die serbischen Behörden nicht festnehmen, erklärte der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjić. Das Risiko von innenpolitischen Unruhen sei zu groß, fügte er hinzu. Für die Festnahme der beiden Hauptangeklagten seien die rund 50.000 in Bosnien stationierten SFOR-Soldaten verantwortlich.
Immer wieder kann man in Belgrad Plakate mit der Aufschrift „Jeder Serbe ist Radovan!“ sehen. Überdies stellten Unterstützer Karadžić’ dessen jüngstens Buch, „Sitovacije“ („Die Situation“) vor. Es handelt sich um ein Lustspiel, das sich lustig macht über die Vertreter der Staatengemeinschaft in Bosnien und über Serben, die „durch die Hilfe von Ausländern an die Macht kommen wollen“. Karadžić zeige in seinem Buch, meint der Verlag „Atelje M“, wie die Opfer – nämlich die Serben – gezwungen werden, ihre Henker – die Mitgliedstaaten der Nato – zu vergöttern.
Karadžić habe 1999 mit der Arbeit an der Kömödie begonnen, teilten seine Unterstützer mit. Weil eine Belohnung von 5 Millionen Dollar (rund 5,6 Millionen Euro) auf seine Ergreifung ausgesetzt sind, wurde das Manuskript über Karadžić’ Frau an den Belgrader Verlag geliefert.
Dieses Werk beweise, meinte der Belgrader Rechtsprofessor Kosta Cavoski, dass sich „unser Held“ Radovan Karadžić nach wie vor nicht nur guter Gesundheit, sondern auch eines heiteren Gemüts erfreuen könne. Weitere Lyrikbände, politische Schriften und Literatur für Jugendliche von Karadžić sollen in Kürze veröffentlicht werden.
Demokratische bürgerliche Organisationen werfen den serbischen Behörden vor, mit den Angeklagten Handel zu betreiben nach dem Motto: Keine Auslieferung nach Den Haag, kein Geld für Serbien. Weder Regierung noch Medien oder andere staatliche Organisationen würden jedoch etwas unternehmen, um die Bürger Serbiens mit den fürchterlichen Verbrechen, die „im Namen des Serbentums“ begangen worden seien, zu konfrontieren. Politiker würden sich mit der Vergangenheitsbewältigung nicht beschäftigen, aus Angst, Punkte bei ihren Wählern zu verlieren.
„Das Herausgeben eines Buches von Karadžić ist nur in einer allgemeinen Stimmung möglich, in der sich niemand kritisch mit dem vergangenen Jahrzehnt beschäftigt“, meinte Borka Pavičević, die Leiterin des Zentrums für „Kulturelle Entgiftung“. Es sei leider kaum zu erwarten, dass sich irgendjemand negativ über das Erscheinen der Werke von Karadžić in Belgrad äußert.
ANDREJ IVANJI
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