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Wendland ohne Demonstrationsrecht

Von chancenlosen Richtern bis zu bissigen Polizeihunden: Komitee für Grundrechte zieht Bilanz des vergangenen Castor-Transports

HANNOVER taz ■ Wenn die Castor-Behälter rollen, kennt die niedersächsische Polizei kein Grundrecht auf Demonstrations- oder Versammlungsfreiheit mehr. Diese Erfahrung haben die Beobachter des Kölner Komitees für Grundrechte und Demokratie im November beim letzten Transport von hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager Gorleben gemacht. Seine Bewertung des Geschehens im Landkreis Lüchow-Dannenberg hat das Komitee diesmal in einer Petition an den niedersächsischen Landtag zusammengefasst, die den bezeichnenden Titel „Für den uneingeschränkten Erhalt des Demonstrationsrechts“ trägt.

Zwischen Lüneburg und Dannenberg habe es im November „über einen langen Zeitraum hinweg eine grundrechtsfreie Zone gegeben“, sagte Komiteevorstand Volker Böge, als er gestern in Hannover die Petition der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Rebecca Harms übergab. Gerichte hätten die Behauptungen, mit denen Verbote begründet wurden, nicht mehr nachprüfen können. Oftmals völlig willkürlich wurden laut Böge insgesamt 460 Aufenthaltsverbote über Demonstranten verhängt. Nach Beobachtungen des Komitees konnte schon ein Schlafsack oder Campinggeschirr im Auto ausreichen, um vom Ort des Geschehens verbannt zu werden. Die Aufenthaltsverbote wurden oft gar nicht begründet. Die Vermutung der Polizei, man habe einen potenziellen Demonstranten vor sich, reichte für die Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit aus.

Als rechtswidrig erwiesen sich die meisten Ingewahrsamnahmen von Demonstranten. Während des Transports wurden insgesamt 780 Demonstranten, zum Teil nach Einkesselung, von der Polizei festgesetzt. Die vorgeschriebene richterliche Überprüfung fand nach Angaben des Komitees nur bei hundert Demonstranten statt, nur in vier Fällen stuften die Richter dann die Ingewahrsamnahmen als rechtmäßig ein.

Das Komitee wertete auch die völlige Abriegelung der Stadt Dannenberg in der Nacht vor dem Straßentransport der Behälter als Grundrechtsverstoß. Wer nicht Einwohner war, wurde damals in die Stadt nicht mehr hineingelassen. Als unverhältnismäßig stuften die Bürgerrechtler auch Einsätze mit Pferden und Hunden gegen gewaltfreie Castor-Gegner ein. Rund 50 Demonstranten seien beim letzten Transport von Polizeihunden gebissen worden. Zum Teil hätten sich Tiere regelrecht in Gliedmaßen verbissen.

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