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Wenn der Patient zum Feind wird

Aus Sorge um ihre berufliche Zukunft wollen junge Mediziner nur anonym über ihre Arbeitssituation reden. Ein Bericht

„Manchmal denke ich vor einer Operation an meine Tochter und daran, dass ich sie in solch einem Zustand nicht gerne operieren würde“, so Tilmann Förster, Assistenzarzt in einem mittelgroßen Berliner Krankenhaus. Das ist nicht sein richtiger Name, denn der junge Mediziner hat Angst um seine Karriere, wenn er genannt würde. Als das größte Problem sieht der Arzt, der seit fünf Jahren im Krankenhaus arbeitet, die Nachtdienste. Den Bereitschaftsdienst versteht das Gesetz als Ruhezeit, in der auch Ärzte nicht mehr als die Hälfte der Zeit arbeiten dürfen.

„Der Bereitschaftsdienst wird aber von den Klinikverwaltungen genutzt, die Krankenhäuser rund um die Uhr zu versorgen; unter größtmöglicher Ausnutzung der Arbeitskraft der Ärzte“, so Förster. Dabei schließe sich die Bereitschaftszeit meist nahtlos an den regulären Dienst an. „Wenn ich tagsüber in der Notaufnahme gesessen und 20 bis 30 Patienten mit den verschiedensten Verletzungen versorgt habe, sollte ich im Bereitschaftsdienst an sich nur zu dringenden Notfällen gerufen werden. Meistens läuft aber das gleiche Programm noch einmal ab. Der Dienst unterscheidet sich in der Regel gar nicht.“ Auch nach der Nachtschicht, die normalerweise 24, manchmal auch bis zu 30 Stunden dauert, würden die Ärzte oft nicht nach Hause geschickt, obwohl es der Gesetzgeber verlangt.

„In einigen Abteilungen versteht es sich von selbst, dass man länger da bleibt und die Stationsversorgung macht, Büroarbeit erledigt oder gar in den OP geht und Operationen leitet.“

„Irgendwann merkst Du wie ausgelaugt Du bist. Neulich hat ein Kollege gesagt, dass ab 16 Stunden Arbeit jeder Patient zum Feind wird, und das stimmt leider genau“, bedauert Förster. „Andauernd überlegt man, wie man Patienten abwimmeln kann, das belastet mich als Arzt besonders.“ Auch die Qualität der Untersuchung lasse stark nach. „Man verzichtet dann eben darauf, die Lunge abzuhören.“

Von Ärzten würde stets erwartet, vollen Einsatz leisten zu können. „Ein Arzt muss auch nach 24 Stunden noch sicher operieren können“, beschwert sich Tilmann Förster. Und wie gefährlich das sei, erkenne man nur an den kleinen oder großen Katastrophen. Wann bei ihm die Grenze erreicht sei? „Nach 20 Stunden Dienst operiere ich noch, nach 24 Stunden mache ich vielleicht noch eine Visite und gehe dann nach 27 Stunden nach Hause. Und das ist im Vergleich zu anderen Krankenhäusern noch gut.“

BENJAMIN DIERKS

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