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Der Ostfilter

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Leichten Schrittes eilt er die Treppen hoch. Die linke Hand locker in der Hosentasche, den Blick auf die Marmorstufen gerichtet. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Rolf Schwanitz, ist auf dem Weg zum Kanzler. Es sind 48 Stufen vom Büro des Staatsministers in der fünften Etage des Kanzleramts bis zu Gerhard Schröder in der siebten Etage. Nach wenigen Minuten kommt Schwanitz die Stufen wieder hinunter. So kurz wie der Weg zum Chef war auch das Gespräch.

Kurz, aber wirkungsvoll? Schwanitz sitzt in seinem geräumigen Büro mit Blick auf die Spree in einem schwarzen Ledersessel. Über den Inhalt des Gesprächs schweigt er und lobt den „mittelbaren, direkten Draht“ zum Kanzler. Stolz sagt er: „Wenn ich ein Problem habe und der Auffassung bin, es geht nur über ihn, spreche ich mit ihm.“

Für den 42-Jährigen, der im Jahr des Mauerfalls 29 Jahre alt war, scheint es auch heute noch ein kleines Wunder zu sein, als Ostdeutscher jederzeit Zugang zum Kanzler zu haben. „Wenn mir 1989 jemand gesagt hätte, ich komme in die Bundesregierung, hätte ich den für komplett verrückt erklärt.“

Bald nach seiner Ernennung zum Staatsminister hatte Schwanitz seinen Ruf weg: graue Maus mit großer Brille im runden Buchhaltergesicht. Fleißiger Aktenwurm mit einem Hang zu Klarsichtfolien. „Schwantnix“ wurde er genannt und „Staatsminister für Kleinkram Ost“.

Schwanitz kennt seinen Ruf. Er reagiert darauf mit Nüchternheit. „Das sind Klischees, die sich fortschreiben“, sagt er. Und fügt hinzu: „Ich finde es gut, dass wir darüber reden.“ Reden ist gut. In der dritten Person deutet er die Folgen der Kritik nur an. „Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Man ist ja kein Stein.“

Bugatti und Süßstoff

Die Spuren der Kritik sind leicht zu entdecken. Schwanitz trägt jetzt Bugatti-Mäntel, hellgraue Anzüge zu hellblauen Hemden und hellgrünen Krawatten, dazu eine randlose, schmale Brille. Er hat einige Kilogramm abgenommen. Auf seinem aufgeräumten Schreibtisch steht eine Schale mit Weintrauben, Mandarinen und Äpfeln. Den Kaffee trinkt er mit Süßstoff. Und Schwanitz versucht, sich locker zu geben. „Ach, ein Porträt soll das werden?“, fragt er und blickt unternehmungslustig. „Dann können wir das ja etwas lockerer machen.“ Er öffnet den unteren Knopf seines Jacketts und lehnt sich zurück.

„Ich bin der erste Ostdeutsche, der sich in Chefgespräche reinsetzen kann“, sagt Schwanitz. Das reicht ihm. Mit am Kabinettstisch zu sitzen. Auch ohne Stimmrecht. Eigentlich erwarten die Menschen im Osten etwas anderes: Dass er dem Kanzler mal auf die Füße tritt. Wegen der Arbeitslosigkeit, der fehlenden Infrastruktur, der Abwanderung.

Aber der Staatsminister Ost würde den Bundeskanzler-West nicht mal an der Schuhspitze anstupsen. Wozu auch. Er sieht sich nicht als Beauftragter des Ostens. Seine Funktion umschreibt er wenig verbraucherfreundlich: „Beauftragter, bezogen auf die Politik, die die Bundesregierung macht.“ Aha! „Den Finger in die Wunde darf man nicht als Lösung begreifen“, verteidigt er sich. Das Benennen von Problemen sei längst eine Selbstverständlichkeit, aber nicht Aufgabe des Ostbeauftragten. „Sprechen müssen die Ostdeutschen schon selbst.“

Wozu braucht es dann einen Ostbeauftragten? Bei diesem Punkt kündigt Schwanitz an, „ein bisschen bösartig“ zu werden. Seine Worte bekommen eine Heftigkeit, die man ihm nicht zutraut. „Wir müssen darüber reden, was verdammt noch mal geklappt hat!“ Weil er die Ostdeutschen dazu nicht zwingen kann, beschränkt er sich aufs Wünschen. „Wenn ich könnte, würde ich einen Vertrag aufsetzen, in dem vereinbart wird, die Hälfte der Kraft und Energie, die für das Beschreiben von Problemen verwendet wird, zum Beschreiben von Stärken zu verwenden.“

Es sind solche Äußerungen, die nachvollziehbar machen, warum Gerhard Schröder gerade ihn zum Beauftragten der Chefsache Ost gemacht hat.

Ernüchtert vom Butler

Edelbert Richter, Mitglied im Vorstand des SPD-Forums Ostdeutschland, ist nach fast vier Jahren Chefsache Ost „ernüchtert“. Die Ausstattung des Staatsministers sei „lächerlich“, der Posten zum „institutionalisierten Aushängeschild“ geworden. Im persönlichen Umgang sei Schwanitz „immer freundlich“, sagt Richter mehrmals. Doch dass Schwanitz vergangenes Jahr Wolfgang Thierses These vom Osten auf der Kippe nicht aufgriff, nimmt er ihm noch immer übel. Mit Blick auf die Bundestagswahl höhnt er: „Schwanitz kann das ruhig weitermachen.“ Unter einer Bedingung: „Wenn er nicht zu sehr darauf festgelegt ist, ein bisschen den Butler zu machen.“

Schwanitz ist keiner, der dem Kanzler die Show stiehlt. Geht es um gefährdete Betriebe, die es bis in die Abendnachrichten schaffen, und das Verkünden von Erfolgen, tritt der Kanzler auf. Sein Ostbeauftragter agiert im Hintergrund. Für Schwanitz ist das „okay“: „Ich habe eben mehr mit Schwierigkeiten als mit schönen, glitzernden Dingen zu tun.“ Wieder kündigt er an, „etwas böse“ zu werden. Wird es aber nicht. „Ich bin nicht wegen meiner persönlichen Performance in die Politik eingestiegen.“ Immerhin ballt er die Faust. „Es ist wichtig, zu zeigen, niemand konnte so viel schultern wie wir in Ostdeutschland.“

Wenn der Minister in den neuen Ländern auf der Suche nach Bestätigung der Regierungspolitik unterwegs ist, steht er auf die Minute pünktlich vor der Tür und zeigt sich als Gast, der angekündigt ist, aber nicht stören will. „Ich möchte mich bedanken, dass wir hier wie ein Bienenschwarm einfallen dürfen“, sagt er beim Besuch eines Lüftungstechnikunternehmens in der Altmark, einer der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. In einer Möbelwerkstatt mit angeschlossener Schiffswerft fragt er höflich: „Was dürfen wir uns anschauen?“

Schwanitz lässt sich vom Firmeninhaber Produktionsabläufe erklären. Er kann nicht hören, wie die Frau des Unternehmers über die Chefsache Ost lästert. Sie sagt: „Blühende Landschaften sind das Einzige, was wir hier haben.“ Schwanitz wird so etwas nicht vorgehalten – die Leute wollen höflich sein zu dem Minister aus Berlin. Ihnen ist klar, dass er seinem Chef gute Nachrichten aus dem Osten bringen will. Die Menschen sprechen auch Probleme an, machen ihn aber nicht dafür verantwortlich. Schwanitz’ Freundlichkeit wirkt wie ein Filter.

Soll sich der Minister über den Kanzlerkandidaten der Union, Edmund Stoiber, äußern, schafft er es, ein wenig von seiner Freundlichkeit abzulegen. Stoibers Wahlkampfauftritte im Osten, „das ist doch ein Witz!“, schimpft er. „Er lässt die Betroffenheitsnummer abfahren und klagt im gleichen Moment gegen den Risikostrukturausgleich.“ Die Vorschläge des Bayern für einen Aufschwung Ost hätten „ein Verfallsdatum von ein bis zwei Tagen“. Wahlkampf eben.

Authentischer wirkt Schwanitz, wenn er nicht über politische Gegner, Investitionszulagen oder den Solidarpakt II spricht. Bei einem Frühstück um 7.30 Uhr im Reichstagsrestaurant erzählt er von seinem Großvater, der bis 1933 SPD-Landtagsabgeordneter in Thüringen war und dann in den Widerstand ging. Und über seinen Vater, einen Rechtsanwalt, der sich 30 Jahre lang „über den Umgang mit Gerichtsverfahren – entschuldigen Sie den Ausdruck – ausgekotzt hat“. Wie er davon träumte, in dessen Fußstapfen zu treten und fast Assistent im Glaskunstmuseum geworden wäre, dann aber doch noch im Fernstudium Jura studieren durfte. Mit einem Anflug von Stolz erzählt er, wie er 1990 den Entwurf des Ministerrats zum Richtergesetz der Volkskammer stoppte und so verhinderte, dass Richter und Staatsanwälte im Schnellverfahren übernommen werden.

Bei Schwanitz kommt die Lust lange nach der Pflicht. Als die Mauer fiel und seine Landsleute in den Westen fuhren, hielt er die Stellung. Aus Angst, die Demonstrationen in Plauen, wo er seit vielen Jahren lebt, könnten abreißen. Den Gang in die Politik nennt der bis zur Wende Parteilose einen „harten Aderlass“. Für sich, seine Frau, eine Lehrerin, die jetzt Hausfrau ist, seine beiden fast erwachsenen Kinder und den Berner Sennenhund. Unter der Woche lebt Schwanitz in einem Wohnheim der Arbeiterwohlfahrt. Zeit, mit dem Rad zu fahren, historische Biografien zu lesen oder Museen zu besuchen, findet er kaum. Die Wochenenden verbringt er, wenn möglich, in Plauen. Dort im Vogtland ist sein Wahlkreis, dort hat er sich nach Jahren „in der Platte“ ein Haus gebaut, dort freuen sich die Menschen über den Draht ins Kanzleramt, über die Fortführung des Sorgentelefons und über Schwanitz’ Einsatz für Umgehungsstraßen.

Schwanitz hat an Selbstbewusstsein gewonnen in den letzten Jahren. „Ich wüsste nicht, wer es besser machen kann“, sagt er über seine Arbeit. „Ich habe mich zu DDR-Zeiten nicht verbiegen lassen und mache es auch jetzt nicht.“ Über seine Zukunft nach der Wahl will er nicht spekulieren. Nur so viel: „Ich stehe zur Verfügung.“ Das klingt verbindlich und ein wenig so, als ob er böse werden könnte, wenn er nach der Bundestagswahl seinen Job verlieren würde. Zumindest ein bisschen böse.

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