: Erfinder des sozialen Neoliberalismus
aus Rom MICHAEL BRAUN
Silvio Berlusconi triumphiert: „Le Pen steht für eine populistische Fehlentwicklung, von der die Franzosen dachten, dass sie in Italien zu finden wäre, und so zeigten, dass sie die Realität gründlich missverstanden haben.“
Doch in Italien gibt es in diesen Tagen viel mehr als nur Schadenfreude über die Pariser Schulmeister – jetzt outet sich auch hier eine Rechte, die jahrelang peinlichst auf Abstand zu Haider und Le Pen geachtet und sich selbst in eine Reihe mit Chirac gestellt hatte. Eine „schöne Nachricht“, befand etwa der Lega-Nord-Politiker Mario Borghezio, der Le Pen zu seinem Kampf „gegen die multirassische Gesellschaft“ gratulierte.
In der Tat fällt es ziemlich schwer, zwischen der Lega Nord und der Front National Unterschiede aufzuspüren, wenn es um den Kampf gegen Europa oder gegen die „Immigranten-Invasion“ geht, auch wenn Parteichef Umberto Bossi Le Pen „die falschen Antworten auf die richtigen Fragen“ vorwirft. Bossis Antwort würde jedoch auch Le Pen gefallen: Man müsse „den Immigranten helfen, bei sich zu Haus zu bleiben“.
Offene Sympathie schlägt Le Pen auch aus den Reihen der Exfaschisten von Alleanza Nazionale entgegen: Der Wahlsieg des Franzosen werde „in die Geschichtsbücher eingehen“, schwärmen zwei Abgeordnete der Partei, die bis 1993 Beziehungen zur Front National unterhielt, und ihr Fraktionschef setzt nach: „Wehe, man kriminalisiert jene 17 Prozent, die demokratisch Le Pen den Vorzug gegeben haben.“
Doch es sind nicht nur Berlusconis Juniorpartner, die Le Pen näher stehen, als sie gemeinhin einräumen. Gewiss, Berlusconi ist kein alter Algerienkämpe mit Glasauge und Schlägerattitüde – aber seinen politischen Durchbruch erzielte der Milliardär mit Botschaften, die ihn unter die Populisten Westeuropas einreihen.
Als Anwalt der kleinen Leute gegen die „Politikaster, die immer reden und nie handeln“, präsentiert Berlusconi sich seit seinem Einstieg in die Politik 1994. Auch verweist er ähnlich wie Le Pen auf seine Herkunft aus dem „Schützengraben der Arbeit“ und kultiviert auch praktisch seine Abneigung gegen die Politik der hergebrachten Parteien: Die von ihm aufgezogene Forza Italia führt er diktatorisch.
Der Populist Berlusconi bedient nicht nur den Unmut der Bevölkerung, sondern stachelt ihn gehörig an. Brave, fleißige Bürger auf der einen Seite, pflichtvergessene Politiker auf der anderen, die ihr Volk mit Steuern und Abgaben, mit Regeln und Normen drangsalieren – so sortiert sich die Welt für Berlusconi. „Liberal“ nennt er das und verspricht den Unternehmen freie Bahn; zugleich aber verheißt der Mann mit dem Copyright auf „sozialen Neoliberalismus“ weniger Steuern für alle, natürlich bei steigenden Sozialleistungen und wachsenden Staatsinvestitionen im Süden.
So gar nicht liberal ist Berlusconis Haltung zur Gewaltenteilung: Die hält er für ziemlich überflüssig und möchte sich nach Exekutive, Legislative und der Vierten Gewalt der Medien gern noch die Justiz untertänig machen. Im Wahlkampf vor einem Jahr überzog Berlusconi das Land trotz sinkender Verbrechenszahlen mit einer Kampagne gegen die „boomende Kriminalität“; kaum waren die Wahlen gewonnen, erfahren die Italiener nichts mehr über die angeblich unaufhaltsam anschwellende Woge der Gewalt.
Da nützt es der italienischen Linken wenig, dass sie sich ganz wie Jospin bescheinigen lassen durfte, sie habe bis 2001 fünf Jahre lang „ordentlich regiert“. Ihr Hinweis auf Sanierung der Finanzen, Einführung des Euro, bescheidenen Wirtschaftsaufschwung war ein untaugliches Mittel gegen das vollmundige Versprechen einer „italienischen Revolution“. Und die Demonstrationen dieses Frühjahrs mögen zwar die Moral der Linken gestärkt haben – entscheidende Einbrüche ins rechte Wählerreservoir sind aber nicht gelungen.
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