Lenk meinen Schritt engelwärts

In Oldenburg wird ein Reqiem getanzt - allerdings eher plakativ als emotional tiefschürfend. Nur die Engel überzeugen

Der Frühling bricht lebensprall hervor, Blütendüfte mischen sich mit dem Wachsgeruch frisch polierter Autos und die Rocksäume rutschen wieder höher. Doch das Oldenburgische Staatstheater inszeniert ein Requiem. „Lenk meinen Schritt engelwärts“, eine Choreographie von Tanzchef Martin Stiefermann, befasst sich mit dem Tod.

Menschen finden sich, blind taumelnd, sie halten und tragen einander abwechselnd, mühelos scheinbar drehen sich diese Paarungen um unsichtbare Achsen. Ein sehr tröstliches Bild voller Hingabe – das jäh bricht. Partner werden stehen gelassen, plötzlich gefrierend im rastlosen Rennen der anderen, die zu Getriebenen des eigenen Körpers werden. Die gefrorenen Leiber, die gestorbenen Körper, fallen, die Lebenden zerren daran, zerren auch an ihrem eigenen Da-sein, in irrer Aktion.

Da sind in diesem ersten Teil – dem „Requiem“ – durchaus überzeugende Bilder entstanden: Die Abwehr des Todes durch blinde Flucht in Aktion, die Abwehr damit auch der tieferen Aspekte des eigenen Seins. So laufen die Tänzer mit dem Rücken an einer Plexiglaswand entlang, an deren Rückseite sich schemenhafte Körper schmiegen: Die Jenseitigen, auf der Suche nach Kontakt.

Aber gerade diese sehr konkreten Bilder sind dann doch zu plakativ. Da fällt mit lautem Knall der Wall zum Jenseits, das Wasser des Hades fließt dort, und eine Frau wäscht einen nackten, toten Männerkörper. Kreidekonturen zeichnen gefallene Körper nach: Der Tod in seinen sichtbaren Signets, die allerdings Assoziationsketten hervorrufen, in denen das konkrete, zwingende Gefühl des Zuschauers eben auch mit davongaloppieren darf.

Hier verliert sich viel in Einzelaktionen und Bildern, was sich im Tanz als Raumkörper zwingender hätte mitteilen können. Da wurde das Thema selbst nicht ausgehalten, nicht wirklich tief emotional geschürft, was es mit den Machern als Menschen selbst zu tun hat. Sie rennen vor ihm davon, wie eben die verbildlichten Lebenden dieses Stückes vor der Berührung mit dem Tod.

Sicher auch für so junge TänzerInnen eine nicht einfache Aufgabe, die eine intensive und einfühlsame Leitung braucht. So aber blieb in diesem ersten Teil vieles abstrakt, und das musikalische Thema – das „Requiem for my Friend“ von Zbigniew Preisner für Krystof Kieslowski geschrieben („Drei Farben Blau / Weiß / Rot“) – wird so oftmals zum eigentlichen Akteur.

Der zweite Teil – „Das Leben“ – ist folgerichtig überzeugender, da sich die TänzerInnen offenbar leichter tun mit einer Identifikation. Denn hier dürfen die aus der Zwischenwelt befreiten Engel mit dem Wasser des Hades spielen, aus vollen Wangen prusten, die humorlosen Lebenden umgarnen und zum Spiel einladen.

Da entstehen wunderschöne Szenen, in denen diese Engel hastende Erdlinge mal eben aufhalten, damit sie nicht fallen, und so die Rast- und Ruhelosigkeit durch ständige Umgarnungen in einen rhythmischen Gleichklang verwandeln. Wunderbar: Sita Ostheimer wird von ihrem Engel bedrängt, der enthusiastischen Maura Morales.

Immer wieder wird das Engelwesen abgeschmettert, weggeworfen, die junge Frau bleibt bei ihrem zielgerichteten Tagewerk. Doch peu à peu verweben sich Abwehr und Umgarnung zu einem Rhythmus der Körper, der von Zärtlichkeit geprägt ist, getragen von einem Sich-Abwechseln in Hebefiguren, deren Achse Respekt und Hingabe sind. So könnte es sein, das Leben. Marijke Gerwin

Weitere Aufführungen im Kleinen Haus des Oldenburger Staatstheaters: 4./12./18./20. Mai. Kartenbestellungen unter (0441) 22 25 111