Bußtag für die Kardinäle

Die zum Papst zitierten US-Kirchenfürsten zeigten sich betroffen, jedoch nicht entschlossen zu radikalem Durchgreifen

aus Rom MICHAEL BRAUN

Aufsehen Erregendes hatte das offiziöse Vatikanblatt Osservatore Romano gestern zu melden: In der vatikanischen Gendarmerie sei das neue Informationssystem Tetra eingeweiht worden. Kein Wort stand im Blatt über das, weswegen sich US-Kamerateams auf dem Petersplatz drängten: Über die Krisensitzung von US-Kardinälen und Kurienvertretern wegen die Pädophilieskandale in der amerikanischen Kirche.

„Zero tolerance“ war zwei Tage lang das Schlagwort, das jedes Mal erklang, wenn ein Reporter in den Arbeitspausen einem Würdenträger das Mikrophon hinhielt. Und Baseball-Weisheiten gab es: „One strike and you’re out – beim ersten Mal bist du raus.“ Das war keine Auskunft darüber, wie die Kirche es bisher mit jenen Priestern gehalten hatte, die sich an Jungs und Mädchen ranmachten – sie konnten sich ziemlich viele strikes erlauben –, sondern als Mitteilung gedacht, dass jetzt Schluss sein sollte mit dem verständnisvollen Kurs. Schließlich hatte Johannes Paul II. in einer Brandrede am Dienstagvormittag die Linie vorgegeben. Eine „schreckliche Sünde“ und ein „Verbrechen“ sei es, wenn Geistliche sich der Pädophilie schuldig machten: „Die Menschen müssen wissen, dass in der Priesterschaft und im religiösen Leben kein Platz ist für die, die jungen Menschen Leid zufügen.“ Tröstend hatte der Papst dann noch hinzugefügt, ein großes Kunstwerk könne zwar befleckt werden, Schönheit aber bleibe.

Eigentlich erwarteten alle nach den anscheinend sensationellen Ankündigungen von eigentlich Selbstverständlichem – dass man zum Beispiel Wiederholungstätern nicht per Versetzung in andre Pfarreien die Chance zum Weitermachen gibt oder dass die kirchlichen Hierarchien mit der weltlichen Justiz kooperieren –, die Kardinäle würden sich entschlossen an die Fleckenbeseitigung am Kunstwerk Kirche machen. Doch erst mal gingen sie an die Vermessung der hässlichen Schmutzstellen. Ziemlich klein seien die und auch gar nicht so tief: Da liege ein „ernstes Problem“ vor, „auch wenn die Fälle wirklicher Pädophilie von Priestern gering sind“, heißt es in der Abschlusserklärung. Dies wird in einem Atemzug mit der Tatsache verkündet, dass „die Statistiken nicht sehr klar“ seien; klar war den Versammelten aber, „dass in fast allen Fällen Heranwachsende betroffen waren und es sich deshalb nicht um Fälle echter Pädophilie handelte“.

Und daran relativierte sich dann auch die Entschlossenheit zum harten Durchgreifen. Der Umgang mit den Lüstlingen in den eigenen Reihen sorgte für offenbar so kontroverse Diskussionen, dass die abschließende Pressekonferenz in die späten Abendstunden des Mittwoch rutschte. Kardinal George aus Chicago stellte fest, es gebe „keinen totalen Konsens über das Prinzip des ‚One strike and you’re out‘ “; schließlich müsse man unterscheiden „zwischen einem sexuellen Wüstling und einem Priester, der unter Alkoholeinfluss mit einer 17-Jährigen schläft, die ihm zugetan ist“.

So wurde das ursprünglich vorgesehene radikale Prinzip, Priester seien sofort zu suspendieren, sobald ein Missbrauchsverdacht vorliegt, ebenso kassiert wie aus der Abschlusserklärung der Passus über die sofortige Anzeige an die weltliche Strafjustiz verschwand. Stattdessen sollen die Bischöfe und der Vatikan in Zukunft ein strengeres Auge auf die Priesterseminare werfen. Wilton Gregory, Vorsitzender der US-Bischofskonferenz, versprach, man werde alles tun, „um zu vermeiden, dass die Priesterschaft von Homosexuellen beherrscht wird“. Mal abgesehen davon, dass Homosexualität nicht eben direkt mit den in den USA zum Skandal gewordenen priesterlichen Übergriffen (auf Jungs wie Mädchen) zu tun hat, verkniff es sich die Kardinalsrunde allerdings, den Zusammenhang zwischen dem Sexverbot für Kleriker und den unschönen Vorfällen auszuleuchten. „Eine Verbindung zwischen Zölibat und Pädophilie kann wissenschaftlich nicht untermauert werden“, heißt es ebenso kurz wie trocken im Abschlusskommuniqué.