Ein kleines Stück Sozialismus

Der Clou „Ergänzungstarifvertrag“: IG Metall Küste schließt Schutzlücke für Angestellte von Kleinbetrieben und ermöglicht Streiks gegen Entlassungen. Unternehmer fürchten Vorbildfunktion für andere Branchen

Von KAI VON APPEN

Wenn ein Unternehmen MitarbeiterInnen entlässt, werden die Folgen für diese in Deutschland normalerweise mit einem Sozialplan und Abfindungen zumindest gemindert. Pech hat aber bislang, wer in einer Firma mit weniger als 20 MitarbeiterInnen arbeitet: In solchen Kleinbetrieben gibt es keinen Anspruch auf einen Betriebsrat – und ohne Betriebsrat keinen Sozialplan, weil nur der Betriebsrat, und nicht die Gewerkschaft, einen solchen aushandeln kann. Die IG Metall Küste hat nun einen Weg gefunden, diese Schutzlücke zu schließen: Sie fordert für die Entlassenen Auffanggesellschaften. Das beinhaltet neue Tarifverträge – und für Tarifverträge kann die Gewerkschaft kämpfen, auch ohne Betriebsrat und unabhängig von der Größe des Betriebes.

Die so genannten „betrieblichen Ergänzungstarifverträge“ oder „firmenbezogenen Verbandtarifverträge“ bieten aber noch einen Clou: Um sie durchzusetzen, darf die Gewerkschaft auch zum Streik aufrufen, was sie ansonsten bei Entlassungen wegen der Friedenspflicht nicht darf. Damit eröffnet die Strategie auch bei größeren Betrieben ganz neue Möglichkeiten, gegen Entlassungen vorzugehen. Bei zwei Betrieben im Hamburger Umland konnte die IG Metall in der vergangenen Woche so Erfolge für die Beschäftigten erzielen.

Beispiel eins: Die Halstenbeker Maschinenfabrik Krueger. 1986 wurde die Traditionsfirma erstmals gesplittet. Die Sparte „Stromabnehmer für U- und S-Bahnen“ kaufte der Münchner Schaltbau-Konzern, der Bereich „Industrietore“ mit 100 Mitarbeitern wechselte zu Cramford-Tore, einer Tochter des schwedischen CARDO-Konzerns.

In den vergangenen zehn Jahren wurde der Betrieb durch Produktionsverlagerungen systematisch verkleinert und in die roten Zahlen getrieben, so dass zum Anfang dieses Jahres noch zehn MitarbeiterInnen übrig waren. Das beschlossene Aus aus der Konzernzentrale kam daher nicht überraschend, die Umstände aber erregten die IG Metall dann doch: Da der Betrieb wegen seiner geringen Größe keinen Betriebsrat hat, wollte der CARDO-Konzern auch keinen Sozialplan und keine Abfindungen ausspucken – bei einem Gewinn von einer Million Euro Gewinn vor Steuern in 2001.

Die IG Metall Unterelbe konterte, forderte den besagten Ergänzungstarifvertrag und leitete die Urabstimmung über einen Streik ein. Das Resultat: Die Arbeitsplätze konnten zwar nicht gerettet werden, aber zumindest knickte das Unternehmen am Freitag ein und sagte 250.000 Euro an Abfindungen zu. Während IG Metall Unterelbe-Chef Uwe Zabel und Betriebsrat Willy Lass stolz sind, sind die Unternehmer alarmiert: „Ein katastrophales Exempel, das künftige Unternehmens-Entscheidungen einschränken könnte, selbst in Bereichen, in denen wir Betriebsräte und IG Metall bisher nicht zur fürchten hatten“, so ein Boss aus dem Unternehmerverband Nordmetall.

Beispiel zwei: der Pumpenhersteller Sterling SIHI in Itzehoe. Die Unternehmensleitung hatte sich im Verlauf einer Auseinandersetzung kürzlich verpflichtet, dem Personal von knapp 300 Beschäftigten bis 2003 eine Arbeitsplatzgarantie zu geben. Pannen bei einer neuen Produktionspalette brachte die Firma nun aber erneut in die Bredouille. Der scheinbar einzige Ausweg: 50 Entlassungen und Kürzungen der Sonderleistungen für die verbleibenden Beschäftigten – oder Schließung des Standortes.

Eine Sanierung à la Holzmann durch Lohn- und Gehaltsverzicht kam für die Belegschaft und die IG Metall nicht in Frage. Sie drohten mit Arbeitskampf für einen Ergänzungstarifvertrag. Das Resultat: SIHI zahlt für die entlassenen MitarbeiterInnen 2,5 Millionen Euro in die Transfer-Gesellschaft „PITZ II“. Diejenigen, die in „PITZ II“ wechseln, bekommen für zwei Jahre ihr Kurzarbeitergeld auf die Höhe ihres letzten Gehaltes aufgestockt.

Aber auch für die bei SIHI verbleibenden Beschäftigten brachte die Strategie einen Erfolg: Die Sonderzahlungen von 1000 Euro pro Person pro Jahr werden nicht gestrichen – stattdessen stellen die Arbeitnehmer sie dem Unternehmen per Tarifvertrag als verzinstes Darlehen zur Verfügung. Im Gegenzug erhalten sie eine Arbeitsplatzgarantie bis 2009. Als Sicherheit für den Kredit gehen die neuen Maschinen, die SIHI davon kauft, in das Eigentum der Arbeiter über – ein Stück Sozialismus mitten im Kapitalismus. Und weil der Arbeitgeberverband Nordmetall SIHI bei der Auseinandersetzung unterstützte, trägt der Ergänzungsvertrag sogar die Unterschrift von Nordmetall-Geschäftsführer Horst Lierhaus.