berliner szenen Altbau, Alter!

Lärm kriecht hoch

Seit sieben Jahren schlafe ich fast direkt über dem „Club 39“. Für mich die schönste Bar Westberlins. Privat. Selbstverständlich. Und sehr nett. Eine Mischung aus Underground goutierenden DFFB-, BWL- und AVL-Studenten, Kiez-Tombola-Fanatikern und die Bild dekonstruierenden Stammgästen aus der Nachbarschaft. Wahrscheinlich finde ich den „Club 39“ auch deshalb schön, weil er direkt vor meiner Tür liegt. Oder weil sich Schönheit so gut auf Faulheit reimt. Egal. Genau zwei Stockwerke trennen mich von den an der Decke der ehemaligen Metzgerei hängenden Lautsprechern. Altbau, Alter, Geschichte wird gemacht! Abends, nachts, wenn ich dann auf meinem Futon liege, steigen der Lärm, die Bässe und das Gemurmel der vom Alkohol befreiten Zungen über die Wände und den Fußboden zu mir hoch. Genauer gesagt zu meinen im Kopfkissen gemütlich ruhenden Ohren. Perfekt.

Raus muss ich also nicht, um cool in irgendeiner modernen Lounge in Mitte auf einem Designersofa zu liegen, sondern die hipsten Westberliner Events kommen zu mir. Und ich lausche, glücklich wie der Proust’sche Erzähler, der sich mit Hilfe des Lärms, der durch das Fenster kommt, die Atmosphäre der Pariser Straße vorstellt. Auf den Pariser Straßen möchte ich allerdings zurzeit nicht sein, hängt dort vielen doch der schlimmste Kater seit der Erfindung des Zaubertranks nach. Le Pen oder Chirac sind wie Pest und Cholera. Non merci. Ich bleibe lieber hier. Mit meinem Gehirn tief eingepackt in der Wärme meines Clubkissens. Gleich dem Indianer, der das Gleis abhört, um zu wissen, wann der Zug aus dem Westen kommen wird, lasse ich die besten Hits aus den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern Revue passieren. YVES ROSSET