: Zwanzig Jahre Knast für ein Buch
Weil er Algeriens schmutzigen Krieg gegen Islamisten aufdeckte, soll Ex-Unteroffizier Souaidia ins Gefängnis
Habib Souaidia bezeichnet sich selbst gern als den Mann, der „zu viel gesehen“ hat. „La sale guerre“ (Der schmutzige Krieg) heißt das Buch des 32-jährigen ehemaligen Unteroffiziers der algerischen Armee über den Bürgerkrieg des Landes in den 90er-Jahren, das seit 2001 in mehreren Sprachen für Aufsehen sorgt. Der Fallschirmspringer zeigt darin auf, dass in dem Konflikt so mancher der 150.000 Toten nicht dem islamistischen Terror, sondern dem „geheimen Krieg“ des Militärs zum Opfer fiel.
Souaidia ist bis heute der einzige Armeeangehörige, der unter seinem Namen offen ausspricht, was nicht nur in Algerien viele längst vermuteten. Hinter der Strategie der Todesschwadronen, schreibt er, stecken der Oberbefehlshaber der Armee, General Mohamed Lamari, und der Chef des Geheimdienstes, General Mohamed „Tewfik“ Mediane. Souaidia selbst nahm zwischen 1992 und 1995 in der Mitidja, einem der schlimmsten Kampfgebiete vor den Toren Algiers, an der „psychologischen Kriegsführung, Manipulation und Infiltration der islamistischen Gruppen“ durch das Militär teil.
„Ein Unterfangen zur Schwächung der Moral der Nationalen Volksarmee und der Staatssicherheit“ sahen Algeriens Richter in dem mutigen Bericht und verurteilten Souaidia am Dienstag in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft. Und sie meinen es ernst: Der seit April 2000 in Frankreich lebende Exsoldat wird per internationalen Haftbefehl gesucht.
Habib Souaidia stammt aus der Landwirtschaftsregion Tebassa. Um von da wegzukommen, eignete sich kaum ein Job besser als der eines Berufssoldaten. „Ich war als Heranwachsender von patriotischen Gefühlen beseelt“, erinnert sich Souaidia, „mein Wunsch war, meinem Land zu dienen.“ War doch Algeriens Armee die Erbin der Befreiungsbewegung, die die französischen Kolonialherren aus dem Land gejagt hatte. Souaidia wurde in der Militärakademie zum Elitesoldaten ausgebildet. „Man brachte uns bei, wie man Kehlen durchschneidet und mit bloßen Händen tötet. Es ging um den Einsatz hinter den feindlichen Linien, um Sabotageakte, Informationsbeschaffung.“
Schon bald sollte er dieses Wissen im Krieg gegen die Islamisten anwenden. Um die verbotene Islamische Heilsfront (FIS) und die Bewaffneten islamischen Gruppen (GIA) bei der Bevölkerung in Misskredit zu bringen, gingen Spezialeinheiten in den Hochburgen der Islamisten gezielt gegen die Zivilbevölkerung vor.
Souaidia erinnert sich gut an seine erste Nacht in „spezieller Mission“. Im März 1993 bekam er den Auftrag, eine Gruppe von Unteroffizieren einzusammeln, nachdem diese in Zivilkleidung in ein Dorf eingedrungen waren. Nach der Rückkehr in die Kaserne zeigte ihm einer der Beteiligten seinen blutverschmierten Dolch und fuhr sich damit langsam über den Hals. Als am nächsten Morgen die Zeitungen von einem terroristischen Überfall auf Dorfbewohner berichteten, verstand Souaidia: „Ich hatte eben an einem Massaker mitgewirkt. Es war das erste Mal, dass ich mich als Komplize eines Verbrechens fühlte.“
Danach stritt er mit seinen Vorgesetzten. Wenig später verschwand er für vier Jahre hinter den Gittern des Militärgefängnisses von Blida. Wenn es nach seinen ehemaligen Vorgesetzten geht, soll er jetzt dorthin zurückkehren. REINER WANDLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen