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Jenseits von der „neuen Mitte“

Die IG Metall streikt ab Montag – und zwar flexibel. Nur erfolgreiche Firmen werden lahm gelegt. Der Osten wird zunächst geschont. Forschungsinstitute rechnen nicht mit Konjunktureinbruch. SPD sieht sich zu solidarischen Kampfesreden gezwungen

von HANNES KOCH

Ein Nachricht, genau richtig für den traditionellen Feiertag der Arbeiterklasse: Es wird gestreikt. Wahrscheinlich ab kommenden Montag in der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs – dort, wo es vielen Firmen recht gut geht. Die Entscheidung gab der baden-württembergische Bezirksleiter der Gewerkschaft, Berthold Huber, am Dienstagabend bekannt. Zuvor hatten die Belegschaften von mehreren hundert Betrieben mit großer Mehrheit für den Ausstand gestimmt (siehe Kasten). Bei der zentralen Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) gestern in Leipzig lieferte Vorsitzender Dieter Schulte die volkswirtschaftliche Rechtfertigung: Eine kräftige Lohnerhöhung stärke die Nachfrage, bringe die Wirtschaft in Schwung und sei damit die Voraussetzung für zusätzliche Arbeitsplätze.

Die IG Metall war mit der Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn in die Verhandlungen gegangen. Durchsetzen will sie mindestens vier Prozent, während der Unternehmerverband maximal 3,3 Prozent bietet sowie eine Einmalzahlung von 190 Euro. Die Chemieindustrie hatte sich unlängst auf eine Erhöhung um 3,6 Prozent geeinigt.

Über die Details des ersten Metallerstreiks seit 1995 wird die Gewerkschaft heute sprechen. Klar ist, dass es eine flexible Streiktaktik geben soll. Wechselnde Unternehmen möchte man jeweils für einen Tag lahm legen. Damit will es die Gewerkschaft den Unternehmern erschweren, mit Aussperrungen zu reagieren. Auf jeden Fall werden bestreikt: DaimlerChrysler und die Mercedes-Produktion in Stuttgart. Im Tarifgebiet Berlin-Brandenburg, wo die Urabstimmung ebenfalls für Streik ausfiel, wird sich die Gewerkschaft einstweilen zurückhalten. Die dortigen Betriebe sind nicht selten sowieso schon in ökonomischen Schwierigkeiten.

IG-Metall-Chef Zwickel forderte die Unternehmer in seiner 1.-Mai-Rede vor dem Berliner Roten Rathaus auf, doch endlich einzulenken: „Mit Dauer des Streiks wird es nicht einfacher. Und schon gar nicht billiger.“ Das sehen auch manche Ökonomen so: Nach Angaben des unternehmerfreundlichen Instituts der Deutschen Wirtschaft würde ein fünftägiger Komplettausstand der baden-württembergischen Metallbeschäftigten rund 1,2 Milliarden Euro an Umsatzeinbußen kosten. Da jedoch die IG Metall keinen flächendeckenden Streik anpeilt, werden die Folgen vorerst gering ausfallen – die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vermochten vor einer Woche nicht zu erkennen, dass ein begrenzter Arbeitskampf die Konjunktur schädigt.

Wo SPD-Politiker bei den Mai-Feierlichkeiten auftraten, umwarben sie die Arbeitnehmerklientel. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel bezeichnete den bevorstehenden Streik als „Notwehr“ gegen die kompromisslosen Unternehmer. NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement prangerte die „hohen Managergehälter“ in der Wirtschaft an – wobei er nicht thematisierte, dass seine Minister für Wirtschaft und Finanzen zum Beispiel im Verwaltungsrat der Westdeutschen Landesbank sitzen, wo sie politische Verantwortung für diese Gehälter tragen. Für Gerhard Schröder war es schwierig: Er musste die Beschäftigten hofieren und gleichzeitg darauf hinweisen, dass ein allzu langer Streik die wirtschaftliche Erholung und damit seine Wiederwahl gefährde.

Neben dem Streik war das zentrale Thema die Globalisierung: DGB-Chef Schulte setzte sich für bessere Arbeitnehmerrechte in anderen Ländern und eine Regulierung der internationalen Finanzmärkte ein.

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