: „Ein dickes Lob für die Polizei“
Wolfgang Wieland, Fraktionschef der Grünen, sieht die Deeskalation nicht gescheitert. Endgültig wirken könne sie erst langfristig. Kritik von CDU und GdP weist er zurück, denn die Polizei habe weniger Schäden erlitten als in den Vorjahren
taz: Herr Wieland, Sie haben die Ereignisse rund um den 1. Mai wie all die Jahre zuvor beobachtet. Ist der rot-rote Senat mit seiner Deeskalationsstrategie gescheitert?
Wolfgang Wieland: Er ist ausdrücklich nicht gescheitert. Die Polizei hat sich weitestgegend zurückgehalten. Sie bekommt von uns dafür ein dickes Lob. Sie hat die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt, das gilt insbesondere für die Walpurgisnacht in Kreuzberg und den Tag des 1. Mai.
Von der Berliner CDU über den brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm bis hin zur Deutschen Polizeigewerkschaft – von rechts wird heftig auf Körting eingeprügelt.
Jörg Schönbohm, der in seiner Zeit als Berliner Innensenator noch an jedem 1. Mai Randale produziert hat, sollte sich mit Bewertungen vom grünen Tisch in Brandenburg zurückhalten. Die Erklärungen der Deutschen Polizeigewerkschaft und der Berliner CDU waren offenbar vorproduziert. Die Polizei hat weniger Schäden erlitten als in den Jahren davor. Der einzige Einsatz, der wirklich nicht gut gelaufen ist, ist der Einsatz in Prenzlauer Berg rings um den Mauerpark.
Der innenpolitische Sprecher der CDU, Roland Gewalt, spricht gar von einer Verletzung des Legalitätsprinzips.
Der Herr Gewalt plustert sich in einer Weise auf, die seiner Bedeutung in keiner Weise entspricht. Wir hatten unter vier CDU-Innensenatoren schwerste Ausschreitungen am 1. Mai, gekoppelt mit Unvermögen, Straftäter dingfest zu machen. Wir hatten Situationen, wo erheblich mehr geplündert und mehr angezündet wurde und es erheblich größere Personenschäden bei der Polizei gab.
Die Polizei war für ein Demonstrationsverbot in Mitte. Körting hat anders entschieden. Hätten die Grünen das auch so gemacht?
Wir finden, was Körting gemacht hat, hundertprozentig richtig.
In den Chor der Kritiker hat auch der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Eberhard Schönberg, eingestimmt. Der 1. Mai sei, was die Schäden angehe, nicht besser und nicht schlechter als im vergangenen Jahr. Weder das Verbot noch die Deeskalationsschiene habe gegriffen.
Niemand – auch Peter Grottian nicht – hat gesagt, dass diese Konzepte sofort wirken. Man kann den Hebel nicht von unfriedlich auf total friedlich umschalten. Es kommt darauf an, langfristige Prozesse des Nachdenkens, des Überdenkens und auch der Verunsicherung in der Szene hervorzurufen. Davor hat sie Angst, sie will ihr Feinbild „Bullenstaat“ gleich Polizeiprovokation behalten. Nur der gestrige Tag hat die Fakten dafür nicht geliefert. Deswegen wird es auch in die Szene hineinwirken.
Angenommen die Deeskalationsstrategie würde auf Jahre angelegt. Was nützt es, wenn sich die ganz Harten nicht beeindrucken lassen?
Wir haben durchaus schon erlebt, dass Menschen, die zu einer harten Krawallszene gehört haben, angefangen haben ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Noch wichtiger ist aber, die vielen Anhänger der alten Kreuzberger Volksweisheit zu erreichen, die da lautet: „Wenn Steine fliegen, muss die Polizei das provoziert haben.“ Die kann man nur in einem mittelfristigen Prozess ansprechen, indem man sie durch die Realität widerlegt.
Hat die Polizei die Strategie ihrer Meinung nach wirklich voll mitgetragen?
Das hat sie getan, und zwar in ganz vorbildlicher Weise. Das konnte man sehen. Auch die Kräfte aus anderen Bundesländern haben diesmal koordiniert agiert. Auch Sie haben sich zurückgehalten. Nicht nur ich, auch viele andere politische Beoachter haben unisono gesagt: So zurückhaltend haben sie die Polizei an einem 1. Mai überhaupt noch nicht erlebt.
Was treibt Polizeikenner wie den GdP-Chef Schönberg zu anderer Einschätzung?
Auch bei Herrn Schönberg gilt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Er erzählt seit Jahr und Tag, die Polizei sei ausgepowert und am Ende und die Politik ließe sie verkommen. Herr Schönberg kann nicht auf einmal zum Freund von Ehrhart Körting werden. Das haben wir auch nicht erwartet.
INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
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