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Ein Meister aus Thüringen

Wer auf den Spuren Johann Sebastian Bachs wandelt, erfährt viel über die Geschichte von Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Bevor der Komponist in Leipzig tätig war, musste er oft umziehen. Und einmal landete Bach sogar im Gefängnis

von MICHAEL BARTSCH

„Kost the Ost!“ Lange bevor Politiker zu Kennenlernreisen in den fernen, nahen und vor allem wahlentscheidenden Osten Deutschlands aufriefen, entstand hier die ironische Antwort auf die „Test the West“-Zigarettenwerbung. Der löblichen Besuchsabsicht lässt sich ein Leitmotiv und ein Stützkorsett verleihen, wenn man sich dabei von einem in Ost und West unbestrittenen Großen der Musik führen lässt.

Auf den Spuren Johann Sebastian Bachs zu wandeln, heißt nichts anderes, als die drei mitteldeutschen Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zu durchqueren. Tut man dies nicht nur in frommem Erstarren vor den Denkmälern des Meisters, lassen sich mehr als nur historische Einblicke gewinnen. Zwei Jahre nach den inflationären Events im 250. Todesjahr erhält man außerdem ein glaubwürdigeres Bild des reichen kulturellen Alltags in diesem Raum.

Unsere Reise zu den Lebensstationen Bachs beginnt am westlichsten Punkt in seiner Geburtsstadt Eisenach. Als sechstes Kind der Familie des Ratsmusikers und Hofkapellmitglieds Johann Ambrosius Bach wurde er hier im Jahre 1685 geboren. Die Bachs sind ein weit verzweigtes Thüringer Geschlecht, dessen Stammhaus im Dörfchen Wechmar gestanden haben soll. Der Weg zum Geburtshaus am Eisenacher Frauenplan ist von allen Einfallstraßen aus gut beschildert. Das sanierte Haus ist nicht nur wegen des Musikinstrumentenmuseums eine Attraktion. Im Saal finden regelmäßig Konzerte und Fachtagungen statt. Hier beginnen auch Stadtführungen auf den Spuren des Komponisten. Die berühmte Wartburg oberhalb der Stadt schlägt zugleich eine Brücke zu einem Kirchenmann, der Bach stark geprägt hat: Martin Luther übersetzte hier die Bibel. Die Burg gab auch der etwas anspruchsvolleren der beiden in der DDR produzierten Automarken den Namen, und mit den Opel-Werken lebt diese Tradition sogar bis heute fort.

An den Hörselbergen vorbei, wo laut Richard Wagner Tannhäuser im Venusberg gesündigt haben soll, führt die Autobahn in östlicher Richtung zunächst in Richtung Ohrdruf. Hier war der 10-jährige Johann Sebastian nach dem Tod seines Vaters beim Onkel untergekommen und erhielt Instrumentalunterricht. Weitere zwei Lehrjahre in Lüneburg, Besuche großer Organisten in Hamburg oder Lübeck und ein kurzes Zwischenspiel am Hof in Weimar schlossen sich an.

Seine erste selbstständige Organistenstelle trat der 18-Jährige im 20 Kilometer südlich von Erfurt gelegenen Arnstadt an. Mit dem wohl populärsten Orgelwerk, der ungestümen Toccata und Fuge d-moll, schockierte er damals die braven Kirchgänger. Heute schmückt sich das reichlich verschlafene Arnstadt mit dem Attribut „Bachstadt“, obgleich am Wochenende nicht einmal die Touristeninformation geöffnet hat. Dafür die zahlreichen Gaststätten wie der „Bach-Keller“, der kurioserweise ein italienisches Spezialitätenrestaurant ist. Die ehemalige „Neue Kirche“ auf einem Hügel inmitten der Stadt heißt seit 1935 „Bachkirche“ und hält, was der Name verspricht: Regelmäßig erklingen geistliche Kantaten Bachs im Gottesdienst. Arnstadt gilt als eine der ältesten deutschen Städte und weist mit der romanischen Liebfrauenkirche, dem Schloss mit seinem Puppenmuseum oder dem Renaissance-Rathaus von 1583 noch eine Reihe kaum bekannter historischer Gebäude auf.

Als ein ähnliches Kleinod erscheint die Altstadt von Mühlhausen am Rande des Eichsfelds. An der Kirche „Divi Blasii“ folgte hier ein einjähriges Intermezzo für den 22-Jährigen. Wir aber wollen in östlicher Richtung der nächsten wichtigen Anstellung des jungen Bach folgen. Auch hier, rund 80 Kilometer von Eisenach entfernt, gibt es einen Frauenplan. Aber in Weimar dreht sich alles um Goethe und Schiller, vielleicht noch ein bisschen um Franz Liszt, Lucas Cranach oder die Bauhaus-Künstler. Und die Spuren der ehemaligen Gauhauptstadt der Nazis sind ebenso gegenwärtig wie die erschütternde Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald auf dem nahe gelegenen Ettersberg. Einen Hinweis auf die neun Bach-Jahre ab 1708 in Weimar aber sucht man in den meisten Reiseführern vergeblich. Dabei kam die Bestallung als Hoforganist und Konzertmeister der 14-köpfigen Hofkapelle der Herzöge Wilhelm Ernst und Ernst August zunächst einem Aufstieg gleich. Fünf Kinder brachte seine Frau Maria Barbara zur Welt, das Orgelbüchlein und zahlreiche Kantaten entstanden. Doch im Strudel interner Hofquerelen zwischen den beiden Herzögen kam es auch zu jener denkwürdigen Inhaftierung des „halßstarrigen“ Bach, in deren Folge er 1717 um seinen Abschied bat.

Dafür begann fast 100 Kilometer nördlich am Hof Leopolds von Anhalt-Köthen die glücklichste Schaffensphase Johann Sebastian Bachs. Wer sich Köthen heute der Stadt aus Richtung A9 oder A14 nähert, vermutet in der platten Landschaft und hinter Plattenbauten zunächst nicht einen so bedeutungsschwangeren Stadtkern. Wenn auch der Tod Maria Barbaras in die Köthener Zeit fiel, komponierte Bach hier die wohl heitersten seiner Werke, vor allem Instrumentalmusik wie die Brandenburgischen Konzerte.

Der Fürst war ein großer Musikliebhaber. Die wichtigsten Bach-Spuren findet man deshalb im Schloss und seiner Bach-Gedenkstätte. Der Bachplatz samt Denkmal erinnert an den Meister, und am Markt steht noch die Jakobskirche, eine seiner Wirkungsstätten. Sogar auf ein kleines Theater stößt man in dem kulturbeflissenen Kreisstädtchen, und vom 29. August bis 8. September gibt es die alljährlichen Bach-Festtage mit einem ambitionierten Programm.

Höhepunkt seines Wirkens, letzter und längster Aufenthalt war der als Thomaskantor in Leipzig von 1723 bis 1750. Viele verbinden diese Zeit schlechthin mit dem Namen Bach. In unglaublicher Dichte entstanden hier die zahllosen Kirchenkantaten im Jahreszyklus, die großen Passionen, die h-moll-Messe, berühmte Spätwerke wie die „Kunst der Fuge“ oder das „Musikalische Opfer“. Letzteres würde übrigens auch ins Brandenburgische nach Potsdam zum Auftraggeber Friedrich II. führen, ähnlich wie der Titel des „Hof-Compositeurs“ nach Dresden.

Bleiben wir aber zum Schluss in Leipzig, das natürlich weit mehr zu bieten hat als nur die Bach-Meile rund um die Thomaskirche. Zwischen Teehaus, Musikalienantiquariat und „Pfeffermühle“-Kabarett stößt man auf das wohl wichtigste Bach-Archiv. In unmittelbarer Nähe der Thomaskirche stehen das alte und das neue Bach-Denkmal. Eine Schautafel lädt zu einem Bach-Rundgang durch die Altstadt ein, wobei man auf Namen wie den Bach-Wiederbeleber Mendelssohn, die Schumanns oder Bachs Textdichter Picander stößt.

Ähnlich wie in Eisenach lädt auch hier ein Musikinstrumentenmuseum ein. Unvermeidlich für den Tourismus unserer Tage scheint der „Thomasshop“ zu sein: Jeglicher Bach-Tand vom T-Shirt bis hin zu Tassen mit der Aufschrift „Ei wie schmeckt der Coffee süße“ wird feilgeboten. In der Thomaskirche selbst dürfte neben dem 1949 eingerichteten Bach-Grab die im Originalton gestimmte neue Bach-Orgel die Hauptattraktion sein. Der Thomaskirchhof ist zugleich Sitz der „Neuen Bachgesellschaft“, die ihr diesjähriges Bachfest übrigens im nordischen Greifswald feiert. Das alljährliche Leipziger Bachfest findet in diesen Tagen bis zum 12. Mai statt und widmet sich besonders den Bach-Adaptionen im Jazz.

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