: Aus Liebe zur Wahrhaftigkeit
Michael Deike ist der taz-Leser mit den meisten merkwürdig-Beiträgen. Im taz-Interview erzählt der Berliner von den Gründen seines Engagements und warum er sich in der taz verstanden fühlt
taz: Herr Deike, Sie haben die meisten merkwürdig-Beiträge geschrieben, Gratulation! Ehrt Sie das?
Michael Deike: Nein. Ich fühle mich in diesem Moment eher als Querulant entlarvt.
Ist es denn nicht eher normal, seine Meinung – in diesem Fall in Form von merkwürdig-Beiträgen – kundzutun und sich einzumischen?
Normal wäre für mich, noch viel mehr zu tun. Aber das ist nicht üblich. Zudem ist die vorherrschende Inflation der Meinungen womöglich schädlich. Ich glaube, Churchill war es, der gesagt hat, zu den Hauptfehlern der Demokratie zähle, dass jeder sagen könne, was er wolle, aber kaum jemand mehr zuhöre. Und das trifft schon zu auf unsere Gesellschaft.
Was hat Sie bewogen, so eifrig an der merkwürdig-Aktion teilzunehmen?
Na ja, mir hat die Form gefallen: „Merkwürdig“ zwingt zur Präzisierung eines Gedankens auf einen einzigen Punkt. In der Justiz gibt es eine hübsche Möglichkeit, eine Anklageschrift präzise zu fassen: Wenn Sie den Anklagesatz in der beispielsweise in Berlin üblichen Weise mit der Formulierung „Dem Angeklagten wird Folgendes zur Last gelegt“ einleiten, dann können sie viel erzählen, bis Sie auf den Punkt gekommen sind. Die andere, vorzugswürdige Form zwingt hingegen zur Präzisierung des Tatvorwurfs, weil der konkrete Anklagesatz auf ein schlichtes „indem“ zu folgen hat: Auf den abstrakten Vorwurf, beispielsweise gestohlen zu haben, folgt nur noch, sprachlich durch dieses „indem“ vermittelt, die präzise Subsumtion der konkreten Umstände des Einzelfalles – ohne Wenn und Aber und nach aller Möglichkeit in einem einzigen Satz. Diese Präzisierung fand ich schon immer sehr schön. Merkwürdig ist insoweit ähnlich, als die vorgegebene Form zu einer pointierten Darstellung führt.
Es geht Ihnen also bei „merkwürdig“ nicht nur um eine politisch-moralische Aussage, sondern auch um geistiges Spiel?
Ich spiele sehr gerne mit Sprache. Aber immer mit Liebe zum Wort, ohne Verballhornung oder Missbrauch der Sprache. Es gibt ein schönes russisches Sprichwort, das besagt: Der Wortbetrüger ist schlimmer als der Geldbetrüger. Auf Russisch würde sich das jetzt schöner anhören.
Sind Sie politisch aktiv?
Nein, das ist mir zuwider, ich wüsste auch gar nicht wo, in welcher Partei.
Schlechte Erfahrungen gemacht?
Wann immer ich bislang Einblicke in die Politik habe nehmen dürfen oder müssen, war ich erschüttert. Die mir als Jurist zur Kenntnis gelangten politischen Zusammenhänge führten zu der Feststellung, dass Werte wie Wahrhaftigkeit dort sehr, sehr wenig zählen. Es ist teilweise nachgerade grotesk, wie wenig Wahrheit in der Politik zählt und nur das Machbare, Öffentlichkeitswirksame interessiert. Deswegen stößt mich das ab.
Wenn für Sie als interessierten taz-Leser vor allem Wahrheit zählt, dürfen wir das dann als Kompliment auffassen?
Sicher. Beim Lesen der taz habe ich im Gegensatz zu anderen Zeitungen regelmäßig den Eindruck, dass dort mit Liebe zur Wahrheit gearbeitet wird. Aus meiner Sicht verfehlte politische Rücksichtnahmen unterbleiben, vielmehr drückt ein engagierter, junger Journalist aus: „Hier stehe ich, ich kann nichts anders.“ Auch wenn das im Einzelfall dazu führen mag, dass selbst Teile Ihrer eigenen Leserschaft bisweilen etwa Wiglaf Drostes Kopf fordern. So sehe ich beispielsweise auch die Aufgabe der Justiz, wenn es darum geht, gegen eine Partei zu ermitteln oder gegen einen Baustadtrat. Auch wenn man damit in eine missliebige politische Ecke abgeschoben werden kann, womöglich gar als „Linker“. Aber das hat nichts damit zu tun, ob jemand links oder rechts ist, sondern damit, ob er die Wahrheit liebt. Und in dieser Hinsicht fühle ich mich unter den Zeitungen einzig von Ihrer häufiger verstanden. Andererseits habe ich mich gerade bei „merkwürdig“ auch schon geärgert. Ich habe der taz geschrieben: „Wie sich das Anthrax-Virus aus der Medienberichterstattung schleicht. Merkwürdig.“ Warum habt Ihr das denn nicht gedruckt, das war doch gut!
Wahrscheinlich haben wir gedacht, Michael Deike hat schon so oft etwas geschrieben, da müssen wir auch mal andere veröffentlichen. Aber, zugegeben: Wie konnte das passieren?
Ja, wie konnte das passieren. Wahrscheinlich sollte wegen der Trittbrettfahrer nicht darüber berichtet werden. Also Schluss damit. Oder zum Tod von Queen Mum zum Beispiel. Da hätte ich Ihnen gerne etwas Schönes geschrieben, aber ich dachte, das wird eh nicht veröffentlicht.
Wieso? Wir hatten sogar recht viel zum Tod von Queen Mum im Blatt!
Ja, zu Queen Mum hatten Sie viel. Und nicht den ganzen Klatsch, der in anderen Medien Thema war. Das fand ich sehr ehrenwert.
Sie haben jetzt Gelegenheit: Was hätten Sie geschrieben zu Queen Mum?
Zu Queen Mum hätte ich geschrieben: „Über die Toten in den verschiedenen Friedensmissionen der Bundeswehr im Ausland wird weniger geschrieben als über den Tod von Queen Mum. Merkwürdig.“
Herr Deike, vielen Dank für das Gespräch und das nachträgliche Merkwürdig.
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