berliner szenen Tresengeschichten

Von den Wollmäusen

Nach dem Kino war ich noch ins „Nordkap“ gegangen, um ein Bier zu trinken und eine Zigarette zu rauchen. Niemand da, der Wirt döste hinter dem Tresen. Da kam ein Mann mit kahlem Schädel, rotem Schnurrbart und unruhigen Augen herein. Er setzte sich an meinen Tisch, direkt unter die Attrappe des fliegenden Fisches. Der Wirt brachte Bier und Schnaps. „So“, sagte der Mann und nickte mir zu. Darauf schüttete er den Schnaps hinunter, sagte „hah“ und schnalzte mit der Zunge. „Nichts für ungut“, sagte er dann, „haben Sie schon mal Einbildungen gehabt? Miserabel. Gehen die Geschäfte? Wieder ein Tag an die Wand, was ist das schon? Mein Vater sagte: Es setzt sich alles aus Verrat zusammen. Aus Verrat.“ Die Sache versprach, interessant zu werden.

Der Kahlköpfige redete weiter: „Sind Sie schon mal aus dem Fenster gefallen? Totale Sache!“ Er beugte sich vor: „Haben Sie schon mal Mäuse gegessen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Aber Wollmäuse, haha, wissen Sie, was Wollmäuse sind?“ Ich wusste es nicht. „Sagen Sie, junger Mann, was sind Sie wohl?“ Ich sagte es ihm. „Zum Teufel“, rief er, und schlug mit der Faust auf den Tisch, „für die Zeitungen? Ach so, nicht politisch, Geschichten, aha. Könnte manche erzählen …“

Da rief ich den Wirt, bestellte ganz ernst Kräuterschnaps für uns beide und schob ihm die Zigarettenschachtel hin. „Sehr zum Wohl, mein Herr“, sprach der Schnurrbärtige und tischte tatsächlich seine Geschichte auf.

Die Schnapsrechnung ist inzwischen beim Finanzamt. Die Geschichte aber war leider geklaut, wie ich in der Bibliothek feststellen musste. Was hatte der Kerl noch gesagt? „Ich trinke viel, von Berufs wegen!“ Hätte ich mir gleich denken können: ein krimineller Germanist.

ANSGAR WARNER