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Herr S. verirrt sich im Programm

Das Wahlprogramm der Union: Edmund Stoiber mäandert durch 74 Seiten, dazwischen staut Angela Merkel seinen Redefluss zu einer Aussage. In ihrem Konzept setzt die Opposition auf die Magie der Zahlen – nur die Finanzierung bleibt vage

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Solange Edmund Stoiber vom Blatt ablesen durfte, war alles klar. Das „Regierungsprogramm 2002 bis 2006“ von CDU und CSU sei ein „Angebot zur Modernisierung“ und eine „umfassende Erneuerung“. Doch sobald der Kanzlerkandidat gestern in freier Rede das neue Wahlprogramm zu erläutern versuchte, wurde es unübersichtlich.

Die Frage war noch schlicht: Ob die Union die ABM-Maßnahmen fortsetzen wolle? Die Antwort von Stoiber passte schon zu gut in sein Klischee vom Aktenfresser: Der K-Kandidat verirrte sich in einen langen Exkurs über den EU-Kommissar Pedro Solbes und kündigte eine „Stellungnahme“ an, die aber auch nicht erfolgte. Erst nach vielen Windungen durch die Abstrakta der EU ließ sich so ungefähr erahnen, dass die ABM-Maßnahmen im Osten erhalten und im Westen reduziert werden sollen.

Wo ist da der Unterschied zur SPD? Dass diese Frage nun als nächste im Raum stand, bemerkte Stoiber gar nicht. Es war CDU-Chefin Angela Merkel, die knapp und klar den Zusammenhang mit dem neuen „Drei-Säulen-Modell“ der Union darlegte. Und so war es immer: Stoiber mäanderte durch die 74 Seiten des „Regierungsprogramms“, und Merkel staute seinen Redefluss dann zu einer Aussage.

Das „Drei-Säulen-Modell“ beschreibt übrigens den neuen Niedriglohnsektor, den die Union einführen will. Bis zu einer Einkommensgrenze von 400 Euro sollen wieder die Regelungen der alten 630-Mark-Jobs gelten. Die Arbeitnehmer werden also von der Sozialversicherungspflicht befreit, stattdessen zahlen die Arbeitgeber pauschal eine Steuer von 20 Prozent. Die zweite Säule: Wer mit seinem Voll- oder Teilzeitjob von mehr als 20 Wochenstunden nur zwischen 401 und 800 Euro verdient, der soll weniger Sozialversicherung zahlen müssen. Die Union will also den „Kombilohn“ auf alle niedrigen Einkommen ausdehnen. Die dritte Säule sind dann die Normalverdiener.

Wie der flächendeckende Kombilohn finanziert werden soll – darüber konnte der sonst so detaillierte Stoiber keine detaillierten Angaben machen. Vage war von „Umschichtungen“ die Rede und von einem „Wachstumsschub“, der mit einer Unionsregierung einsetzen würde.

Die magische Drei prägt auch sonst das Programm. Denn neben dem „Drei-Säulen-Modell“ gibt es zudem das Programm „3 mal 40“: Die Staatsquote soll auf unter 40 Prozent sinken, ebenso der Gesamtbeitrag zu den Sozialversicherungen und der Spitzensteuersatz. Der Eingangssteuersatz wiederum soll „unter 15 Prozent“ liegen. Allerdings ist dies alles nur „mittelfristig“ angedacht, wie das CDU-Papier vorsichtig ergänzt. Über die Finanzierung schweigt man erneut.

Genauso unklar ist, ab wann es das „Familiengeld“ geben könnte. Vorgesehen sind 600 Euro für jedes Kind unter drei Jahren und 300 Euro bis zur Volljährigkeit. Weitere Zugeständnisse: Im Jahr 2003 soll die fünfte Stufe der Ökosteuer entfallen – und der Mittelstand darf hoffen, dass für ihn demnächst ähnlich günstige Steuerregelungen gelten wie für die großen Kapitalgesellschaften. Und schließlich ist noch „ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr“ finanziell abzusichern. Woher das Geld kommen könnte? Stoiber erläuterte wolkig, dass eine „enge Kooperation mit unseren europäischen Partnern“ angestrebt werde.

Neben der Magie der Zahlen zieht sich noch ein weiteres Motto durchs Programm: Es nennt sich „Eigenverantwortung“ und „Selbstständigkeit“. So sollen die Kunden der Krankenkassen künftig wählen können, wie viel Leistung sie möchten. Auch bei der Rentenversicherung soll der Anteil der privaten Vorsorge steigen. Doch Genaueres erfährt man nicht.

Wie alle anderen Parteien möchte auch die Union die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen. Ob dies bedeutet, dass das Niveau der Arbeitslosenhilfe sinkt, wird nicht erläutert. Es ist nur von „Einsparungen“ die Rede.

Ganz klar ist die Union jedoch beim Thema Zuwanderung: Deutschland müsse sie „stärker steuern und begrenzen als bisher“. Und es wird die Gefahr der Parallelgesellschaften beschworen. Vom selben Geist ist schon die Präambel des Programms geprägt. Da bekennt man sich „zu Deutschland als Vaterland“ und definiert die eigene Politik als „aufgeklärten Patriotismus“.

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