: „Habe die Schnauze voll“
Im Theaterausschuss legt Volksbühnen-Intendant Castorf eine Wut-Arie aufs Parkett. BE-Chef Peymann singt derweil ein Loblied auf seine GmbH. Doch das Problem bleibt. Den Bühnen fehlt Geld
von JAN ROSENKRANZ
Theater macht nicht immer Spaß und mitunter dauert es länger, als dem Publikum recht ist. Wer am Montag im Unterausschuss Theater auf großes Theater wartete, musste vier Stunden warten – bis Castorf kam.
Der Ausschuss hatte ein gutes Dutzend Intendanten geladen, man wollte mal reden, über die Wirtschaftpläne der öffentlich finanzierten Bühnen – entschieden wird später. Natürlich gab es Wehklagen und Jammern. Aber dass es den Theatern der Stadt mies geht, dass sie zu wenig Geld haben und – auch nicht mehr bekommen, war allen Beteiligten bekannt. Erstaunlicherweise trauen es sich die meisten Häuser dennoch zu, bis Ende 2003 keine weiteren Defizite anzuhäufen. Obwohl sie – wie seit Jahren üblich – für die regelmäßigen Tariferhöhungen keine weiteren Ausgleichszahlungen erhalten. Bislang gibt es aber noch in jedem Plan eine ordentliche Portion: globale Minderausgaben. Klingt harmlos, bedeutet aber, dass sich nach bisheriger Planung genau diese Kosten nicht durch entsprechende Einnahmen decken lassen.
Nach vier Stunden also kam Volksbühnen-Chef Frank Castorf an die Reihe, um dem bis dahin etwas faden Reigen etwas Würze zu verleihen: „Ich gehe wie eine Nutte auf den Strich, um ein paar Mark zusammenzukratzen“, beschwerte er sich. Dabei würden Schauspieler und Regisseure bereits jetzt deutlich weniger verdienen als an anderen Bühnen.
Nach der Frage, ob er denn mit der zugesicherten – weit und breit einzigen – Etaterhöhung von 800.000 Euro weitermachen könne, begann der Castorf’sche Anfall: „Ich habe die Schnauze voll von dieser Stadt“ und ebenso von der hier üblichen „Fortschreibung eines unendlichen Elends“. Er müsse nicht weitermachen und habe nie darum gebettelt. „Von mir aus, wickeln Sie die Volksbühne doch einfach ab“, rief er den Abgeordneten zu.
In drei Monaten läuft Castorfs Vertrag bei der Volksbühne aus, obwohl seit zwei Jahren immer wieder über eine Verlängerung gesprochen werde. „Ich muss nicht bleiben“, sagte Castorf da und ging, nicht ohne dem bereits wartenden Claus Peymann zuzurufen: „Ah, da ist er ja, der personifizierte Erfolg.“ Der raunte etwas zurück, was sich wie „Arschloch“ anhörte. Jedenfalls hatte Castorf ihm die Show gestohlen.
Dafür konnte Peymann für sein Berliner Ensemble (BE) die besseren Zahlen präsentieren: wachsende Auslastung und keine Probleme mit Tariferhöhungen bis Ende 2003. Kurzum: Am BE könne man sehen, wie ein Haus, das sinnvoll subventioniert wird, auch Überschüsse erwirtschaften kann, so Peymann.
Er könne deshalb auch Castorf das GmbH-Modell nur empfehlen. Der hatte zuvor bereits darauf hingewiesen, dass er nichts gegen eine Änderung der Rechtsform hätte, aber es gebe großes Misstrauen in der Belegschaft – und die müsste einer Umwandlung zustimmen.
Peymann wunderte sich, warum es in Berlin nicht üblich ist, die Bilanzen der Häuser offen zu legen. „Dann hätte man Fakten, wie sich die Defizite ergeben, statt feuilletonistisch verblasener Erklärungsversuche“, sagte der BE-Chef.
Die wird es am Ende wohl wieder geben, denn leider läuft es nicht in allen Häusern so wunderbar wie am BE. Die größten Problemfälle sind nach wie vor die Schaubühne und das Jugendtheater Carrousel. Schaubühnen-Direktor Jürgen Schitthelm musste ein Loch von 1,2 Millionen Euro präsentieren. Und dabei bräuchte er noch mehr Geld, da sich eine Choreografin wie Sasha Waltz auf Dauer nicht mit 13 Tänzern begnüge. Obwohl an Berliner Theatern die Selbstausbeutung inzwischen der Normalfall sei, so Schitthelm.
Beim Carrousel-Theater klafft sogar eine Finanzlücke vom 1,5 Millionen Euro. Es gebe keinerlei weiteren Sparmöglichkeiten, obwohl das Theater seit dem Haushaltsstopp zwangsverwaltet wird, sagte Intendant Manuel Schöbel. Es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis das angesammelte Defizit von momentan 3,7 Millionen Euro die jährlichen Zuwendungen übersteigen werde.
Alle Intendanten wiesen darauf hin, dass im Rahmen so genannter „Binnenstrukturmaßnahmen“ nichts mehr gespart werden könne, ohne den weiteren Betrieb zu gefährden. Für Alice Ströver (Grüne) stellt sich darum auch die Frage, welche kulturpolitischen Änderungen der Senat anstrebt. „Über uns schwebt ja noch das Damoklesschwert von 27 Millionen Euro, die zusätzlich gespart werden sollen“, sagte Ströver gestern. Auf die angekündigte „Nachschiebeliste“ warte sie noch immer.
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