piwik no script img

Wowereit beleidigt Australien

Regierender verschiebt Reise zum 5. Kontinent. Als Bundesratschef wollte er dort Kontakte pflegen. Nun bleibt er auf Abruf, falls US-Präsident Bush bei seinem Berlin-Besuch doch Zeit für ihn hat

von JÖRN KABISCH und STEFAN ALBERTI

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat in schwer wiegender Weise die deutsch-australische Freundschaft belastet. In Diplomatenkreisen wird sogar von einer Schädigung der Beziehungen zu der australischen Regierung in Canberra gesprochen. Wowereit hatte gestern Morgen wegen des Berlin-Abstechers von US-Präsident George W. Bush am 22./23. Mai seine Reisepläne als Bundesratspräsident nach Australien überraschend verworfen.

Dabei ist das Verhältnis zwischen Berlin und Canberra von besonderer Natur. Deutschland sei einer der engsten und wichtigsten Partner Australiens, schreibt Botschafter Max W. Hughe auf der Website der australischen Vertretung. Für die Australier bleibt unvergesslich, dass ab 1838 vor allem Lutheraner aus Berlin und Brandenburg als erste nichtbritische Bevölkerungsgruppe Einfluss auf die Entwicklung des fünften Kontinents nahmen. Und es war auch ein Deutscher, der sich seit 1790 als einer der ersten in Australien am Weinbau versuchte. Was inzwischen zu einem Chardonnay geführt hat, der sich auch bei deutschen Weintrinkern großer Beliebtheit erfreut (Aldi, € 3,79). Zunehmend besuchen Deutsche Australien, in den vergangenen zehn Jahren haben sich hierzulande allein sieben deutsch-australische Gesellschaften gegründet, eine davon im sächsischen Werdau. Nicht nur deren Hoffnungen auf stärkere Bande zwischen Berlin und Canberra hat Wowereits Absage einen herben Dämpfer versetzt.

Bei der gestrigen Senatspressekonferenz bemühte sich Wowereit wortreich um eine Begründung. Unerträglich, kleinkariert und nicht nach vollziehbar nannte er die Diskussion um seine Reise und die parallele Berlin-Visite des US-Präsidenten. Schaden für die Stadt habe die Auseinandersetzung bewirkt – mit der Verschiebung habe er die Sache beenden wollen. Die CDU hatte am Montag gar Wowereits Rücktritt gefordert, weil er für Bush keine Zeit habe.

Die australische Seite bat Wowereit nun, „sich nicht hintangesetzt“ zu fühlen – genauso wenig, wie er sich angeblich versetzt fühlt, weil ihn das Bush’sche Protokoll bislang ignoriert. Wowereit zeigte Verständnis für den US-Präsidenten, der natürlich nicht aus Ablehnung für Rot-Rot, sondern nur aus Zeitnot nicht ins Rathaus komme. Für den Fall, dass sich dessen Planung noch ändert, sagte Wowereit: „Ich stehe für Kontakte zur Verfügung.“

Der Schaden für die Stadt allerdings dürfte bleiben. Schließlich leben in Berlin etwa 800 Australier, und mehr als 1 Prozent aller Berlin-Touristen kommen vom fünften Kontinent. Doch wie instinktlos der rot-rote Senat mit sensiblen Themen umgeht, haben die Berliner in den vergangenen hundert Tagen schon einige Male erleben dürfen, meinte zumindest gestern der Tagesspiegel. Glücklicherweise haben die Freunde Berlins „down under“ sich ihre Großmut bewahrt. Die australische Botschaft zeigte diplomatisches Verständnis: „Wir freuen uns weiterhin, dass der Bundesratspräsident den Besuch der Präsidentin des Senats von Australien, Margaret Reid, erwidern will“, sagte Botschaftssprecher Günter Schlothauer. Reid war im April in Berlin. Inwiefern sich der Wowereit-Besuch verschieben lässt, war gestern noch offen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen