: Wie denn nun?
Sprachforscher streiten darüber, wie das Wort „Pinguin“ entstand
von DIETMAR BARTZ
Was „Pinguin“ bedeutet, darüber sind sich die Wortkundler rund um die Welt einig: Zunächst bezeichnete der Begriff den Riesenalk Alca impennis, der an den Küsten Neufundlands, Grönlands und Islands lebte, dann auch Alca torda, den Tordalk des Nordens. Erstmals ist das Wort für das Jahr 1578 sicher belegt. Damals schrieb der Entdecker Anthony Parkhurst in einem Brief über Neufundland, es gebe hier viele Arten Vögel, „besonders auf einer Insel namens Penguin. Diese Vögel heißen ebenfalls Pinguine und können nicht fliegen.“
Seefahrer übertrugen den Namen der Stummelflügler auf ihre entfernten Verwandten im Süden. Die waren zuerst 1520 von Fernando Magellan und 1579 von Sir Francis Drake an der Südspitze Amerikas entdeckt worden, noch ohne dass die beiden Entdecker den „Gänsen“ (Magellan) einen eigenen Namen gegeben hätten. 1587 notierte der englische Kapitän Candishe: „Wir stießen in die Magellan-Straße vor, und am 8. [Januar] kamen wir an die Inseln, deren eine Sir Francis Drake als Sankt-Bartholomäus-Insel, deren andere als Pinguin-Insel benannt hatte.“ Das war zwar falsch, denn Drake taufte die zweite Insel nach Sankt Georg. Aber die Notiz beweist, dass Candishe den Namen „Pinguin“ bereits kannte. Übrigens gibt es außer Parkhursts neufundländischer und Candishes angeblicher südamerikanischer noch eine dritte Pinguininsel, die später ihren Namen wechselte und noch später weltberühmt wurde: Robben Island, die Gefängnisinsel vor der südafrikanischen Küste, auf der Nelson Mandela 27 Jahre inhaftiert war.
In Deutschland war eine Zeit lang ein einheimischer Name gebräuchlich: Fettgans. Woher das Fremdwort Pinguin kam, fiel da vor allem den klassisch ausgebildeten deutschen Sprachforschern zu erklären nicht schwer – vom lateinischen Ausdruck „pinguis“, was „feist, wohl genährt“ bedeutet und eine Kreuzung aus „pimos“ und „finguis“ ist, aus „fett“ und „dick“. Der Sprachforscher Johann Christoph Adelung übernahm diese Erklärung für den „englischen Namen einer Art Patschfüße“ in sein Hochdeutschwörterbuch von 1811, und so taucht die Erklärung seither in fast jeder Etymologie auf.
Jedenfalls in Deutschland. Doch britische und französische Etymologen sehen die Wortgeschichte ganz anders; das hochrenommierte Oxford English Dictionary kanzelt die „Lateiner“ gar mit der Bemerkung ab, ihre Ableitung sei eine kaum gestützte Mutmaßung. Für die Gegenfraktion setzt sich das Wort aus zwei bretonischen Begriffen zusammen, aus „penn“ (Kopf) und „gwenn“ (weiß). Die „Bretonen“ belegen ihre These damit, dass schon in den ganz frühen Erwähnungen von Pinguinen oft auch die Herkunft aus keltischen Sprachen erwähnt wird. Aus der Bretagne, heißt es, stammen die besten Seefahrer Europas, die auf zahllosen Schiffen aller Nationalitäten anzutreffen waren. Tatsächlich heißt es schon in der Reiseerzählung „Ingram’s Narrative“ von 1582: „Die Landbevölkerung nennt sie Pinguine, was ein walisischer Name zu sein scheint.“ Walisisch ist ebenfalls eine keltische Sprache; Pinguin käme dann von „pen gwyn“.
Anhaltspunkte liefert zudem die Seereise, mit der die Überlieferung beginnt. Kapitän Richard Hore steuerte 1536 Kap Breton südlich von Neufundland an. Sicher ist, dass Hore auf die Vögel stieß, sicher ist auch, dass es im Englischen bis dahin keine schriftlichen Zeugnisse über sie gegeben hat. Unklar ist aber, ob Hore das Wort von dort an Land lebenden Bretonen aufschnappt, ob es an Bord geprägt oder ob es erst später in den Reisebericht eingebaut wurde, den fünfzig Jahre später das Besatzungsmitglied Thomas Buts dem Forscher Richard Hakluyt erzählte; Hakluyt publizierte sein Buch „Hores Reise zum Kap Breton“ 1589 und nahm Packhursts Brief von 1578 mit auf.
Einziges Problem der „Bretonen“: Der Riesenalk hatte einen insgesamt grauen Kopf. Ihre nicht ganz einleuchtende Lösung: Gemeint sei der deutlich erkennbare weiße Fleck zwischen Stirn und Augen. Am weitesten ging Samuel Johnson mit seinem Wörterbuch der englischen Sprache von 1755. Tapfer schreibt er gegen Augenschein und Glaubwürdigkeit: „Wie es heißt, ist dieser Vogel bereits mit diesem Namen von den ersten Entdeckern Amerikas vorgefunden worden, und weil Pinguin auf Walisisch einen weißen Kopf bedeutet und der Kopf dieses Vogels weiß ist, hat man dafürgehalten, dass Amerika einst von Wales aus besiedelt wurde.“ Ein kleines Wort als Beleg für eine große These.
DIETMAR BARTZ, 45, ist Redakteur im Meinungsressort der taz
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