Wo liegt Schillhelmsburg?

Heute tritt die Schill-Partei zu ihrem Bundesparteitag an. Den Erfolg aus dem Vorjahr hatte die Partei auch Wilhelmsburg zu verdanken. Acht Monate danach will es kaum einer gewesen sein.

Von Dagny Eggert

Auf dem hastigen Weg zur Wilhelmsburger S-Bahn bekennt nur ein einziger, dass er die jetzige Regierung bei der Wahl unterstützt habe. Zugunsten einer Veränderung in der Hamburger Politik. Doch glaube er nicht mehr, dass die Regierungskoalition eine volle Legislaturperiode halten würde. Seinen Namen will er nicht nennen.

Alle anderen, die man an diesem Morgen fragt, gehen auf Contra: Tanja Düesmann, 22, aus Wilhelmsburg hat Schill nicht gewählt. Sie sagt: „Es wird deutlich, dass es nur viel heiße Luft ist und ich hoffe, die Schill-Wähler sehen das auch.“ Auch Mehmet Özkul, 49, ist nicht zufrieden mit der neuen Regierung: „Was ist mit Schill, ich finde das auch nicht gut, die Sache mit den Brechmitteln, dem Kokain und seine Drogenpolitik. Schill war sowieso nicht gut, aber ich finde, die Menschen sind doof, das ist auch klar geworden.“ Agron Bujüko, 27, ist ebenfalls skeptisch: „Die Regierung Schill hat viel versprochen und sehr wenig getan. Zwar muss Kriminalität überall in der Welt bekämpft werden, aber nicht so.“ Das Wahlkampfthema Innere Sicherheit hat Abderrahman Aloui, 46, nicht überzeugt: „Hamburg war immer eine sichere Stadt, eine ruhige Stadt. Innere Sicherheit war für mich nie ein Problem. Ich wohne gern in Wilhelmsburg und möchte hier nicht weg. Nur die Kommunikation der Bevölkerungsgruppen untereinander ist hier ein Problem. Ich habe es in türkischen Cafés versucht, aber die leben in ihrer eigenen Welt.“ Stimmen, die repräsentativ sind für die Stimmung ein halbes Jahr nach der Amtsübernahme des Rechtssenats? Wo sind die Schill-WählerInnen geblieben?

Vielleicht lassen sie sich hier finden: Sieben Busminuten vom S-Bahnhof entfernt ist die Sportklause. In der kleinen Nachbarschaftskneipe kennt man sich. Auf die Frage nach seiner Bilanz nach dem Regierungswechsel antwortet Rainer Schulenburg, 51, aus Wilhelmsburg: „Ochs und Kuh, wähl auch du CDU. Ole von Beust ist ein guter. Der von Beust hat den Schill gebraucht und der Machtwechsel hat der Stadt gut getan.“ Gerade der letzte Hamburger Bürgermeister kommt bei ihm nicht gut weg: „Wenn sie den Voscherau behalten hätten, wäre es besser gewesen als mit Runde.“ Anerkennung für die SPD erlangt allerhöchstens noch Helmut Schmidt durch seinen Einsatz für die Opfer der Wilhelmsburger Flutkatastrophe, damals vor 40 Jahren.

Georg Schliewin, 65, der neben ihm sitzt, wirft ein, er finde die „Schmutzkampagne gegen Ronald Schill“ nicht gut. Aber auch hier gibt es ein Abrücken, Distanz. Über Schill sagt der gebürtige Schleswig-Holsteiner Hans Jürgen Brüß, 48: „Der hat uns enttäuscht, Sprüche sind gemacht worden, aber geändert hat sich nichts. Das was er versprochen hat, hat er nicht gehalten, aber nach so vielen Jahren muss sich mal was ändern. Aber ob es dadurch besser wird, das weiß man nicht.“

Dieser Mann muss zumindest hinter dem Innensenator stehen, denn er trägt schließlich sein Parteibuch: Hanspeter Hemker, Fraktionsvorsitzender der Schill-Partei im Ortsausschuss Wilhelmsburg, zieht für seine Partei dann auch eine durchweg positive Bilanz: „Schon, was wir bisher geleistet haben, ist ein grandioser Erfolg, den wir so in der Politik in den letzten Jahren nicht zu verzeichnen hatten.“ Bürgernähe ist für Hemker dabei das entscheidende Stichwort: „Ich möchte vor Ort mit den Menschen diskutieren, in der Kneipe, bei Currywurst.“ Seine Sprechstunden fänden deswegen auch in verschiedenen Gasthöfen statt. Auch die Integration der ausländischen Mitbürger sei für ihn wichtig, betont er. So sympathisch er am Telefon wirkt, ein unangenehmes Gefühl bleibt, als er auf die Drogengeschäfte am Jungfernstieg anspielt und von Afrikanern spricht, „die alle aus Burkina Faso kommen, und die dann doch nicht daher kommen.“ Zufrieden äußert sich Hemker natürlich über die neu geschaffenen Polizistenstellen, „250 Planstellen für Polizeibeamte und dazu 250 zusätzliche Lehrerstellen“.

Für Manuel Humburg vom Forum Wilhelmsburg, ein Zusammenschluss von Bürgerinitiativen und Vereinen, geht die Konzentration auf mehr Polizisten am eigentlichen Thema vorbei: „Das Problem der Kriminalität ist nicht polizeilich zu lösen. Geht man den Ursachen von Kriminalität und Unsicherheitsgefühl auf den Grund, so liegen die Wurzeln tiefer, dabei müssen soziale Ursachen berücksichtigt werden. Nur mehr Polizei schafft auf Dauer nicht mehr Sicherheit.“ Kontraproduktiv wirkten da besonders die Sparmaßnahmen im sozialen Bereich. Vor diesem Hintergrund könne dann auch ein von Manfred Silberbach (Schill-Partei) geforderter Senatsbeauftragter für soziale Brennpunkte nicht sinnvoll arbeiten.

Nach Humburg liegt Schills Erfolg darin, gewisse Fragen überhaupt erst zu stellen: „Es gibt zwar gefährliche Tendenzen, aber es hat auch seinen Punkt.“ Schill dabei Rassismus vorzuwerfen sei zu platt, da müsse man schon anders argumentieren. Humburg verweist auf das Problem der überforderten Nachbarschaft in einem sozialen Brennpunkt wie Wilhelmsburg: Viele Schill-Wähler hätten zudem eine Law-and-Order-Mentalität oder fühlten sich mit ihren Problemen von der SPD nicht mehr ernst genommen.

Und auch wenn viele Schill-Wähler jetzt enttäuscht seien, habe die Partei doch die Themen der Leute angesprochen, sagt Humburg, und er fährt fort: „Wilhelmsburg braucht Sicherheit, aber mit Sicherheit nicht Schill.“ Schließlich habe der Stadtteil bereits viel an Integration geleistet und das unter ungünstigsten Bedingungen.

Dass sich bereits Auflösungstendenzen in der Partei zeigen – vier Fraktionsmitglieder sind aus der Harburger Fraktion ausgetreten und haben im März die Fraktion „Hamburg Offensiv“ gegründet – ist für Hemker kein Problem: Auf die Basis hätten diese Querelen keinen Einfluss. Eine Einschätzung, die auch die Opposition teilt. Wolfgang Marx, früherer Bürgerschaftsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender der SPD Wilhelmsburg Ost und SPD-Fraktionschef im Ortsausschuss Wilhelmsburg, sagt: „Ich fürchte, mangelnde sachliche Erfolge schaden der Schillpartei nicht, denn sie ist eine reine Bauchpartei.“ Die SPD, so Marx, wolle „aus ihren Fehlern lernen und die Themen Innere Sicherheit und Integration auch aufgreifen“, jedoch anders als Schill, um damit das Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu fördern. Die Schill-Partei gebe den WählerInnen das Gefühl, sich um Probleme wie Kriminalität und Drogen zu kümmern. Doch tatsächlich bewirke die repressive Drogenpolitik am Hauptbahnhof nur eine Verschiebung des Problems, so befürchte er eine Abwanderung der Drogenszene ins Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg.

Auch wenn sich Klaus Schäfer, Mitglied in der Wilhelmsburger SPD, nicht an der Schill-Partei abarbeiten will, ist für ihn Schills Erfolgsrezept sehr wohl ein Thema: „Du kannst heute alles von früher vergessen, es gibt keinen argumentativen Wahlkampf mehr, nur noch Emotion.“ Schill habe Anziehungskraft, er „spricht Menschen an, die sich mit ihren Ängsten von den Parteien unverstanden fühlten, da müssen die anderen Parteien wieder hin.“ Dazu gehöre auch mehr soziale persönliche Kompetenz bei den Politikern, denn ausschließlich „Sachargumente zählen bei den Wählern immer weniger“.