: Schlafen erlaubt zum Kraft schöpfen
Die Büroarbeiter in der Stadtverwaltung von Vechta überwinden ihr Tagestief durch mittägliche Ruhezeiten. Davon profitieren letztlich auch die Bürger. Anfangs hatte man allerdings mit harscher Kritik zu kämpfen. Unterstützung kamen von einem privaten Sponsor und von der AOK
Im Rathaus von Vechta haben die Mitarbeiter kein schlechtes Gewissen, wenn sie von ihrem Chef beim Mittagsschlaf überrascht werden. Stadtdirektor Helmut Gels (49) fördert sogar den Schlaf im Büro.
taz: Wie kamen Sie auf die Idee, den Mittagsschlaf für Ihre Mitarbeiter einzuführen?
Helmut Gels: Ich verlange meinen Mitarbeitern sehr viel ab. Mit niedrigem Personalstand werden hier höchste Leistungen erbracht. Irgendwann stößt man dann aber an Grenzen. Also muss ich dafür sorgen, dass die Mitarbeiter wieder zu Kräften kommen. Jeder Mensch hat mittags einen Tiefpunkt; und den schleppen wir – eigentlich schon seit Jahrhunderten – mit durch den restlichen Tag.
Das führt zu Konflikten, die bei rechtzeitiger Entspannung nicht nötig wären. Wer sich wieder leistungsbereit und -fähig fühlt, geht viel positiver an seine Aufgaben heran. Die Idee ist nicht neu und wird in Japan und den USA längst praktiziert.
Wird das Angebot genutzt oder womöglich auch ausgenutzt?
Als wir das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt vor anderthalb Jahren starteten, nutzten 98 Prozent der Mitarbeiter die Entspannungsphase. Man legt sich mittags aber nicht einfach hin und schläft, sondern tankt mit gezielten Übungen Kraft für den Nachmittag. Inzwischen liegt die aktive Beteiligungsquote bei 50 bis 60 Prozent; deshalb ist jetzt eine Evaluierung geplant. Ausgenutzt wird die Erholungszeit sicher nicht.
Ziehen Sie die Entspannungszeit von der üblichen Pause ab?
Nein. Die dafür vorgesehenen 20 Minuten sind Arbeitszeit. Jeder entscheidet selbst, was ihn wieder fit macht und welche Entspannung für ihn die geeignete ist. Da wir fast nur Einzelbüros haben, schließen die Angestellten einfach die Tür, legen sich auf die Matte und machen ihre Übungen. Wer lieber im nahen Park spazieren geht oder sich ein paar Minuten in die Sonne setzt, kann auch das tun.
Was tun Sie sonst noch, damit die Mitarbeiter sich wohl fühlen?
Unsere Mitarbeiter wurden durch die AOK geschult. Auf dem Programm standen gezielte Entspannungsübungen und andere Techniken zur Überwindung des persönlichen Tagestiefs. Eine vernünftige Ernährung für den Büroalltag und Tipps, auch abends etwas für sich zu tun, gehörten dazu. Ziel der Schulung war ja, den Angestellten bewusst zu machen, dass sie selbst aktiv werden müssen. Außerdem hatten wir das Glück, vor zwei Jahren ein neues Rathaus zu beziehen, und konnten so die gesamte Büroausstattung nach arbeitsmedizinischen Grundsätzen auswählen.
Wie reagierte die Öffentlichkeit auf Ihr Projekt?
Anfangs hatten wir mit harscher Kritik zu kämpfen. „In Vechta schlafen die Beamten jetzt auch mit Zustimmung des Chefs“, hieß es. Sogar Strafanzeigen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder wurden gestellt. Doch die Übungsmatten finanzierte ein privater Sponsor, und die AOK hat kostenlos gearbeitet. Trotz der Kritik gab es schon im ersten halben Jahr viele Nachfragen – auch aus der privaten Wirtschaft.
Wir sind ein Dienstleister: Der Bürger ist hier Kunde. Er profitiert also letztlich von unseren ausgeruhten, motivierten und freundlichen Rathausangestellten.
INTERVIEW: KATHARINA JABRANE
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